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Maigret und das Verbrechen in Holland

Maigret und das Verbrechen in Holland

Titel: Maigret und das Verbrechen in Holland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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in diesem Augenblick, sein gutmütiges Gesicht, seine Genußsucht, oder vielmehr seinen Lebenshunger, seine Schüchternheit, seine Angst, jemand vor den Kopf zu stoßen; er sah ihn vor diesem Radio, an dessen Knöpfen er stundenlang drehen kon n te, um Jazz aus Paris, Zigeunermusik aus Budapest, eine Operette aus Wien oder sogar die fernen Funkrufe der Schiffe aufzufangen.
    Any ging zu ihrer Schwester, wie man zu jemandem geht, der Schmerzen hat und gleich ohnmächtig wird. Aber Madame Popinga ging auf Maigret zu, zumindest machte sie zwei Schritte.
    »Ich hatte nie gedacht …«, hauchte sie. »Niemals! Ich lebte … Ich … Und als er tot war, ich …«
    An ihrer Atmung erriet er, daß sie herzkrank sein mußte, und kurz darauf bestätigte sich die Vermutung, denn sie blieb einen Augenblick lang unbeweglich st e hen und hielt eine Hand auf die Brust.
    Im Zimmer bewegte sich jemand; es war der Bauer, der hart und erregt dreinblickte, auf den Tisch zuging und mit der Nervosität eines Diebes, der fürchtet, dabei ertappt zu werden, nach den Briefen seiner Tochter griff.
    Madame Popinga ließ es geschehen. Maigret ebe n falls.
    Doch wagte Liewens nicht zu gehen. Er sagte etwas, r e dete aber mit niemand im besonderen. Das Wort fra n z o se klang an Maigrets Ohr, und ihm schien, daß er Hollä n disch verstand, so wie Liewens an diesem Tag sicher Fra n zösisch verstanden hatte.
    Er rekonstruierte sich den Satz:
    »War es nötig, dem Franzosen diese Dinge vorzul e sen?«
    Er ließ seine Mütze auf den Boden fallen, hob sie wieder auf, verbeugte sich vor Any, die ihm im Weg stand, aber nur vor ihr, brummte noch ein paar unve r ständliche Worte und ging. Das Dienstmädchen hatte inzwischen wohl den Hauseingang fertiggefegt, denn man hörte, wie die Haustür auf und zu ging, dann Schritte, die sich entfernten.
    Trotz der Anwesenheit von Any fragte Maigret weiter, doch so vorsichtig, wie man es bei ihm nicht für mö g lich gehalten hätte:
    »Haben Sie diese Briefe Ihrer Schwester gezeigt?«
    »Nein! Aber als dieser Mann …«
    »Wo lagen sie?«
    »In der Nachttischschublade. Ich habe nie hineing e schaut. Dort lag auch der Revolver.«
    Any sagte etwas auf holländisch, und Madame Popi n ga übersetzte mechanisch:
    »Meine Schwester sagt, ich sollte schlafen gehen. Weil ich schon drei Nächte lang nicht geschlafen habe … Er wäre nicht fortgegangen … Er muß wohl einmal unvo r sichtig gewesen sein … Er lachte und spielte so gerne … Mir sind wieder Einzelheiten eingefallen: Beetje, die immer Obst und selbstgebackenen Kuchen mitbrachte. Ich glaubte, das sei meinetwegen. Dann kam sie auch, um zu fragen, ob wir Tennis mitspielten. Immer dann, wenn sie wußte, daß ich keine Zeit hatte! Aber ich wol l te die Gefahr nicht sehen. Ich freute mich, wenn Co n rad sich etwas entspannen konnte, denn er hatte viel A r beit, und Delfzijl war ihm zu langweilig. Letztes Jahr wäre sie beinahe mit uns nach Paris gefahren … Und ich hatte auch noch darauf bestanden!«
    Sie sagte das ganz normal, mit einer Müdigkeit, in der kaum noch Groll mitschwang.
    »Er wollte nicht weggehen, Sie haben es gehört. Aber er hatte Angst, jemandem wehzutun. So war er. Er wu r de getadelt, weil er zu gute Noten im Examen gab. De s wegen mochte mein Vater ihn nicht.«
    Sie stellte eine Nippfigur wieder an ihren richtigen Platz, und dieser hausfrauliche Handgriff kontrastierte stark mit der Stimmung im Zimmer.
    »Ich wollte nur, daß alles schon vorbei wäre, denn man will ihn nicht einmal beerdigen. Verstehen Sie? Ich weiß nicht mehr ein noch aus! Man soll ihn mir wieder herausgeben! Gott wird den Schuldigen schon bestr a fen.«
    Sie wurde lebhaft. Sie redete mit fester Stimme weiter:
    »Ja, das glaube ich! Diese Dinge da, nicht wahr, das ist eine Sache zwischen Gott und dem Mörder. Was können wir schon wissen?«
    Sie schauderte, als fiele ihr plötzlich etwas ein. Sie zeigte auf die Tür, sagte ganz schnell:
    »Vielleicht tötet er sie! Er wäre dazu imstande! Das wäre schrecklich …«
    Any sah sie mit einer gewissen Ungeduld an. Sie hielt di e se Worte gewiß alle für sinnlos, denn sie sagte ganz r u hig:
    »Was denken Sie jetzt, Herr Kommissar?«
    »Nichts!«
    Sie fragte nicht weiter, aber ihr Gesicht zeigte, daß die Antwort sie nicht befriedigte.
    »Ich denke nichts, weil da vor allem die Mütze O o stings ist!« sagte er. »Sie haben die Thesen von Duclos gehört. Sie haben die Bücher von Grosz gelesen, von denen er Ihnen erzählt hat.

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