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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zwischen den dunklen Möbelstücken verteilten kupfernen Ziergeräten spielte.
    An der Wand hing ein großes Frauenbildnis mit dem Namenszug Jef , das trotz ungeschickter Ausführung sehr deutlich das Bemühen des Malers erkennen ließ, das Modell idealisiert darzustellen.
    Es mußte die Frau Jef Lombards sein, folgerte Maigret und ließ den Blick suchend über die anderen Wände schweifen. Wie erwartet, fand er noch mehr Gehängte. Und zwar die gelungensten, die, welche man des Einrahmens wert erachtet hatte.
    »Sie trinken doch ein Glas Genever?«
    Der Kommissar spürte den gehässigen Blick Joseph van Dammes auf sich, den jede Einzelheit dieser Zusammenkunft zu empören schien.
    »Sie sagten vorhin, Sie hätten Jean Lecocq d’Arneville gekannt …«
    Über ihren Köpfen waren Schritte zu vernehmen: dort, wo das Zimmer der Wöchnerin liegen mußte.
    »Nur oberflächlich …« kam es zerstreut von Jef Lombard, den ein leises Wimmern aufhorchen ließ.
    Er hob sein Glas.
    »Auf die Gesundheit meiner Tochter! Und meiner Frau!«
    Damit wandte er den Kopf ab, leerte das Glas in einem Zug und machte sich bei der Anrichte zu schaffen, um seinen inneren Aufruhr zu verbergen; dem Kommissar aber entging trotzdem das stimmlose Geräusch eines unterdrückten Schluchzers nicht.
    »Ich muß jetzt hinauf … Entschuldigen Sie … Aber an so einem Tag …«
     
    Noch immer hatten van Damme und Maigret kein Wort miteinander gewechselt. Nun, während sie gemeinsam über den Hof und dicht an dem Brunnen vorbeischritten, lag ein Ausdruck von Ironie im Blick des Kommissars, wie er seinen Begleiter im Auge behielt und sich dabei fragte, was wohl dessen nächster Schritt sein werde.
    Auf der Straße angelangt tippte van Damme jedoch nur kurz an den Rand seines Hutes und entfernte sich eilig nach rechts hin.
    In Lüttich gibt es wenig Taxis, und da Maigret nicht mit den Straßenbahnlinien vertraut war, ging er zu Fuß zurück ins Hôtel du Chemin de Fer, nahm dort sein Mittagessen ein und ließ sich Auskunft über die Lokalzeitungen geben.
    Um zwei Uhr betrat er das Verlagsgebäude der Zeitung ›La Meuse‹, das Joseph van Damme im gleichen Augenblick verließ. Die beiden Männer gingen auf einen Meter Entfernung grußlos aneinander vorbei, und der Kommissar brummelte halblaut:
    »Ist der doch schon wieder vor mir da!«
    Er wandte sich an einen Bürodiener und bat um Erlaubnis, die Archive der Zeitung einzusehen, mußte ein Formular ausfüllen und die Genehmigung eines Ressortleiters abwarten.
    Gewisse Einzelheiten hatten ihm zu denken gegeben: Der Zeitpunkt, an dem Armand Lecocq d’Arneville erfahren hatte, daß sein Bruder nicht mehr in Lüttich war, war ungefähr derselbe, an dem Jef Lombard mit krankhafter Besessenheit Gehängte gemalt hatte.
    Dazu war der Anzug B , den der Landstreicher von Neuschanz und Bremen in seinem gelben Koffer herumgeschleppt hatte, sehr alt – mindestens sechs Jahre, hatte der deutsche Sachverständige gesagt – vielleicht aber auch zehn!
    Und sprach nicht die Tatsache, daß Joseph van Damme hier bei der Zeitung ›La Meuse‹ aufgetaucht war, schon für sich?
    Maigret wurde in einen Raum geführt, dessen spiegelndes Parkett an eine Eisbahn erinnerte, ausgestattet mit pompösen, feierlich wirkenden Möbeln.
    »Welchen Jahresband wünschen Sie einzusehen?« fragte der Bürodiener mit der Silberkette.
    Längst hatte Maigret die dicken, rings um den Raum aufgestellten Pappordner erblickt, von denen ein jeder die Zeitungen eines Jahres enthielt.
    »Ich finde es schon selbst«, sagte er. Es roch nach Bohnerwachs, altem Papier und amtlichem Prunk. An dem mit Moleskin überzogenen Tisch waren Ständer zum Halten der unhandlichen Bände angebracht. Alles machte einen so sauberen Eindruck, war so ordentlich und von solcher Nüchternheit, daß sich der Kommissar kaum getraute, seine Pfeife hervorzuziehen.
    Sekunden später blätterte er die Zeitungen aus dem »Jahr der Gehängten« eine nach der anderen durch.
    Tausende von Überschriften zogen an seinen Augen vorbei; manche riefen die Erinnerung an Ereignisse von weltweiter Bedeutung wach, andere bezogen sich auf den lokalen Bereich, wie der Brand eines großen Geschäfts (drei Tage lang eine ganze Seite!), der Rücktritt eines Stadtrats, die Fahrgelderhöhung bei der Straßenbahn.
    Plötzlich Reißspuren scharf am Einband entlang: Die Nummer vom fünfzehnten Februar war gewaltsam herausgetrennt worden.
    Maigret eilte ins Vorzimmer, holte den Bürodiener

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