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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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dem Leichnam gerade in Richtung Caen davon. Hinter einem Fenster im Erdgeschoß sah man das Gesicht von Julie und zwei Frauen, die sie in die Küche zu ziehen versuchten.
    Leute standen um ein Fischerboot herum, das soeben zurückgekehrt war und in dem zwei Männer den Fisch sortierten. Die Zollbeamten lehnten am Brückengeländer und ließen die müßigen Stunden der Wache vergehen.
    »Ich habe gerade die Bestätigung über die Ankunft der ›Saint-Michel‹ für morgen bekommen!« sagte der auf Maigret zukommende Hafenmeister. »Sie ist drei Tage in Fécamp geblieben, um den Bugspriet reparieren zu lassen.«
    »Sagen Sie mir, transportiert sie gelegentlich Kabeljaurogen?«
    »Rogen? Nein. Der norwegische Rogen wird von skandinavischen Schonern oder kleinen Dampfern gebracht. Aber sie laufen Caen nicht an. Sie entladen direkt in den Sardinenhäfen wie Concarneau, Sablesd’Olonne, Saint-Jean-de-Luz …«
    »Und Fischtran?«
    Diesmal riß der Kapitän die Augen auf.
    »Wozu?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Nein! Die Küstenschiffe haben fast immer dieselben Ladungen: Gemüse, hauptsächlich Zwiebeln für England, Kohle für die bretonischen Häfen, Schotter, Zement, Schiefer. Übrigens habe ich mich bei den Schleusenarbeitern nach der letzten Durchfahrt der ›Saint-Michel‹ erkundigt. Sie ist am 16. September aus Caen kommend bei Flutende eingelaufen. Es war kurz vor Dienstschluß. Joris hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Fahrrinne nicht genug Wasser führte, um ins offene Meer zu gelangen, zumal bei Nebel. Der Besitzer aber hat darauf bestanden, durchgeschleust zu werden, um am nächsten Tag in aller Frühe weiterfahren zu können. Sie haben dort im Vorhafen am Pfahlwerk festgemacht und übernachtet. Bei Ebbe saßen sie auf dem Trockenen. Sie konnten erst gegen neun Uhr morgens ausfahren.«
    »Und Julies Bruder war an Bord?«
    »Zweifellos! Sie sind nur zu dritt: Der Kapitän, der gleichzeitig auch Besitzer des Schoners ist, und zwei Männer. Grand-Louis …«
    »Ist das der Name des Häftlings?«
    »Ja. Man nennt ihn Grand-Louis, weil er größer ist als Sie und imstande, Sie mit einer Hand zu erwürgen.«
    »Ein übler Bursche?«
    »Wenn Sie den Bürgermeister fragen oder jemanden aus seinem Kreis, wird er Ihnen mit ja antworten. Ich selbst habe ihn, ehe er ins Gefängnis kam, nicht gekannt. Er ist nicht oft hier. Alles was ich weiß, ist, daß er in Ouistreham noch nie Dummheiten gemacht hat. Natürlich trinkt er oder vielmehr … schwer zu sagen … er ist eigentlich immer angesäuselt. Er kommt und geht. Er hinkt auf einem Bein und hat eine verschrobene Haltung, was ihn nicht gerade ehrlich aussehen läßt. Trotzdem ist der Kapitän der ›Saint-Michel‹ mit ihm zufrieden.«
    »Er ist gestern hier gewesen, als seine Schwester fort war.«
    Kapitän Delcourt wandte den Kopf ab, er wagte nicht, es zu bestreiten. Und Maigret begriff in diesem Augenblick, daß man ihm nie alles sagen würde, daß diese Männer des Meeres wie Pech und Schwefel zusammenhielten.
    »Nicht nur er …«
    »Was wollen Sie sagen?«
    »Nichts … Ich habe von einem Fremden gehört, der hier herumstreifen soll. Aber ob das stimmt …«
    »Wer hat ihn gesehen?«
    »Ich weiß es nicht. Es wird so geredet. Trinken Sie nichts?«
    Zum zweitenmal ließ sich Maigret in der Kneipe nieder, wo sich ihm Hände entgegenstreckten.
    »Erstaunlich, wie schnell die Herren von der Staatsanwaltschaft ihre Arbeit erledigt haben!«
    »Was trinken Sie?«
    »Bier.«
    Den ganzen Tag hatte die Sonne geschienen. Aber jetzt zogen Nebelschwaden zwischen den Bäumen dahin, und das Wasser im Kanal begann zu dampfen.
    »Wieder eine Nacht in der Milchsuppe!« seufzte der Hafenmeister.
    Und im selben Moment heulte die Sirene auf.
    »Dort am Anfang der Fahrrinne kann man die Leuchtboje sehen.«
    »Fuhr Kapitän Joris oft nach Norwegen?« fragte Maigret unvermittelt.
    »Als er für die Anglo-Normande fuhr, ja. Vor allem gleich nach dem Krieg, weil es so an Holz fehlte. Eine scheußliche Ladung, weil sie einem keinen Platz fürs Manövrieren läßt.«
    »Waren Sie für dieselbe Gesellschaft tätig?«
    »Nicht lange. Ich fuhr hauptsächlich für Worms in Bordeaux. Ich machte sozusagen die ›Tram‹, das heißt, ich fuhr immer dieselbe Route: Bordeaux-Nantes und Nantes-Bordeaux. Achtzehn Jahre lang!«
    »Woher stammt Julie?«
    »Aus einer Fischerfamilie von Port-en-Bessin. Wenn man sie überhaupt als Fischer bezeichnen kann! Der Mann hat es nie zu etwas gebracht. Er ist

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