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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zurief:
    »Wartet einen Augenblick!«
    Und plötzlich erstaunt:
    »Sie ist es.«
    Im gleichen Moment schrie eine Stimme aus mindestens fünfzig Metern Entfernung:
    »He! Louis! Bring die Klüver ein und achte darauf, Backbord einzufahren!«
    Das war weiter unten, in dem dunklen Loch auf der Seite der Molen. Ein winziges Licht kam näher. Eine undeutliche Gestalt, die sich bewegte, ein Segel, das klirrend an der Stag herunterglitt.
    Dann ein gehißtes Großsegel, das in Reichweite vorbeischwebte.
    »Ich frage mich, wie sie das geschafft haben«, brummte der Hafenmeister.
    Und zu dem Segelschiff gewandt, brüllte er:
    »Weiter! Stoßt eure Nase an Backbord des Damfers, sonst können die Tore nicht geschlossen werden!«
    Ein Mann war mit einem Tau an Land gesprungen und blickte jetzt, die Fäuste in die Hüften gestemmt, um sich.
    »Die ›Saint-Michel‹?« fragte Maigret.
    »Ja. Die sind wie ein Dampfer gefahren!«
    Unten auf Deck brannte nur eine kleine Lampe, die allen möglichen Kram schwach beleuchtete, eine Tonne, einen Haufen Seile, die Gestalt eines Mannes, der vom Steuerrad zum Bug des Schoners lief.
    Die Männer von der Schleuse kamen nacheinander herbei und musterten das Schiff mit seltsamer Neugier.
    »Zu den Toren, Kinder! Auf geht’s! An die Kurbeln, dort hinten!«
    Die Tore schlossen sich, das Wasser strömte durch die Schütze, und die Schiffe begannen zu steigen. Das kleine Licht kam näher. Das Deck war jetzt fast in gleicher Höhe mit dem Kai, und der Mann, der sich dort befand, winkte dem Hafenmeister zu.
    »Wie geht’s?«
    »Es geht«, antwortete Delcourt verlegen. »Ihr seid schnell gewesen.«
    »Der Wind war günstig, und Louis hatte alle Segel gesetzt, so daß wir sogar einen Frachter überholt haben.«
    »Fährst du nach Caen?«
    »Zum Entladen, ja. Gibt’s was Neues hier?«
    Maigret stand zwei Schritte entfernt, Grand-Louis nur wenig weiter weg, aber sie konnten sich kaum sehen. Man hörte nur, wie der Hafenmeister mit dem Kapitän der ›Saint-Michel‹ sprach.
    Delcourt wandte sich zu Maigret um, wußte nicht recht, was er sagen sollte.
    »Stimmt es, daß Joris zurückgekommen ist? In der Zeitung soll stehen …«
    »Er ist zurückgekommen und wieder gegangen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    Grand-Louis war einen Schritt nähergetreten. Bucklig stand er da, die Hände in den Taschen vergraben. Und wenn man ihn im Dunkeln so sah, mit verschwommenen Konturen, wirkte er eher wie ein schwächlicher, schlaksiger Kerl.
    »Er ist tot.«
    Da trat Louis dicht an Delcourt heran.
    »Ist das wahr?« murmelte er.
    Zum ersten Mal hörte Maigret seine Stimme, und auch sie hörte sich weichlich an. Sie war heiser und ein wenig schleppend. Das Gesicht konnte man immer noch nicht erkennen.
    »In der ersten Nacht nach seiner Rückkehr ist er vergiftet worden.«
    Und Delcourt beeilte sich, vorsichtig und mit eindeutiger Absicht hinzuzufügen:
    »Dies ist ein Kommissar aus Paris, der den Auftrag hat …«
    Er war erleichtert. Er hatte schon seit einiger Zeit überlegt, wie er diese Erklärung anbringen konnte. Fürchtete er eine Unvorsichtigkeit von Seiten der Leute der ›Saint-Michel‹?
    »Ach! Monsieur ist von der Polizei!«
    Immer noch stieg das Schiff. Der Kapitän schwang seine Beine über die Reling, sprang auf den Kai, war unschlüssig, ob er Maigret die Hand geben sollte.
    »So was!« rief er aus, in Gedanken immer noch bei Joris.
    Und man spürte auch bei ihm eine Unruhe, noch deutlicher, als man sie bei Delcourt gespürt hatte. Louis’ hohe Gestalt wiegte hin und her. Er schimpfte etwas vor sich hin, das der Kommissar nicht verstand.
    »Was sagt er?«
    »Er spricht Dialekt: Die größte aller Schweinereien!«
    »Was ist eine Schweinerei?« fragte Maigret den Exhäftling.
    Aber dieser sah ihn nur an. Sie standen jetzt dicht beieinander. Man ahnte die Gesichtszüge. Louis’ Gesicht war aufgedunsen, eine Backe schien dicker als die andere zu sein, aber vielleicht stammte dieser Eindruck auch daher, daß er ständig den Kopf verdreht hielt. Seine Haut war verwittert, und seine Augen standen weit hervor.
    »Sie waren gestern schon hier!« sagte der Kommissar.
    Das Schleusenwasser war nun eingelaufen. Die oberen Tore öffneten sich. Der Dampfer glitt in das Kanalwasser. Delcourt mußte schnell laufen, um sich nach der Tonnage und dem Heimathafen zu erkundigen. Von der Brücke herab hörte man es rufen:
    »Neunhundert Tonnen! … Rouen!«
    Die »Saint-Michel« jedoch verließ die Schleusenkammer

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