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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nicht, und die Männer, die in der Schleuse darauf warteten, sie hinauszumanövrieren, spürten, daß etwas Ungewöhnliches los war, harrten mit gespitzten Ohren an ihren finsteren Posten.
    Delcourt kam zurück, schrieb die Angaben, die er erhalten hatte, in sein Notizbuch.
    »Nun?« fragte Maigret ungeduldig.
    »Nun was?« brummte Louis. »Sie sagen, ich war hier! Also war ich hier!«
    Es war nicht leicht, ihn zu verstehen, denn er hatte eine ganz besondere Art, die Worte zu verschlucken, mit geschlossenem Mund zu reden, als würde er gleichzeitig auf etwas herumkauen. Zudem sprach er mit einem sehr ausgeprägten Akzent.
    »Was wollten Sie hier?«
    »Meine Schwester besuchen.«
    »Und weil sie nicht da war, haben Sie ihr eine Nachricht hinterlassen.«
    Maigret musterte heimlich den Besitzer des Schoners, der dieselbe Kleidung wie sein Matrose trug. Er hatte nichts Charakteristisches an sich. Er sah eher nach einem guten Vorarbeiter als nach dem Kapitän eines Küstenschiffes aus.
    »Wir sind wegen einer Reparatur drei Tage in Fecamp geblieben. Da hat Louis die Gelegenheit genutzt, die Julie zu besuchen«, mischte er sich in das Gespräch.
    Man ahnte die gespitzten Ohren rund um das Schleusenbecken. Sicher war jeder darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Aus der Ferne klang immer noch der Heulton des Nebelhorns. Der Nebel schlug nieder und ließ die Pflastersteine schwarz glänzen.
    Auf der Brücke des Schoners öffnete sich eine Luke. Ein Kopf tauchte auf, ein wirrer Schopf, ein struppiger Bart.
    »Also, was ist? Bleiben wir hier?«
    »Halt’s Maul, Célestin!« fuhr ihn der Kapitän an.
    Delcourt trat von einem Bein auf das andere, vielleicht um sich aufzuwärmen oder auch nur, um seine Unsicherheit zu überspielen, denn er wußte nicht, ob er bleiben oder gehen sollte.
    »Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, Louis, daß Joris in Gefahr schwebte?«
    Louis zuckte die Schultern:
    »Na schön! Davon ausgehend, daß man ihm schon den Schädel eingeschlagen hatte, war es nicht schwer zu erraten.«
    Man brauchte fast einen Dolmetscher, so schwierig war es, in diesem Grunzen die halb verschluckten Silben zu unterscheiden.
    Eine tiefe Beklemmung, etwas wie dumpfe Angst lag in der Luft. Louis sah zu Joris’ Haus hinüber, aber man sah nichts, nicht einmal einen dunkleren Fleck in der Nacht.
    »Isse dort, die Julie?«
    »Ja. Wollen Sie zu ihr?«
    Er schüttelte, wie ein Bär, verneinend den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Sie heult bestimmt.«
    Er sagte es kaum verständlich, aber man hörte den Ekel eines Mannes vor Tränen heraus.
    Immer noch standen sie da im Nebel, der dichter wurde, die Schultern durchnäßte. Delcourt meinte etwas sagen zu müssen.
    »Wir könnten was trinken gehen …«
    Doch einer seiner Männer, der etwas entfernt im Dunkeln stand, teilte ihm mit:
    »Die Kneipe ist gerade geschlossen worden.«
    Da schlug der Kapitän der ›Saint-Michel‹ vor: »Wenn Sie auf einen Schluck in die Kajüte kommen wollen?«
     
    Sie waren zu viert: Maigret, Delcourt, Grand-Louis und der Schiffsbesitzer, der Lannec hieß. Es war keine große Kabine. Ein kleiner Ofen heizte den Raum so stark auf, daß alles beschlagen war, und das Licht der nach dem Kardanprinzip aufgehängten Petroleumlampe schien fast rot.
    Die Wände waren aus Kiefernholz. Der Tisch, aus Eiche, war voller Kerben und so abgenutzt, daß auf der Tischplatte keine glatte Fläche mehr zu finden war. Teller standen noch herum, schmutzige grobe Gläser und eine halbvolle Flasche Rotwein.
    Links und rechts in der Wand war eine rechteckige Aussparung, was wie ein Schrank ohne Tür aussah: Die Kojen des Kapitäns und Louis’. Ungemachte Betten, auf denen Stiefel und schmutzige Kleider herumlagen. Ein Geruch von Teer, Alkohol, Küche und Schlafzimmer, über allem aber die undefinierbaren Gerüche eines Schiffes.
    Jetzt im Licht sahen die Männer weniger mysteriös aus. Lannec trug ein braunes Schnurrbärtchen, und er hatte einen intelligenten und lebhaften Blick. Er hatte eine Flasche Schnaps aus einem Schrank genommen und spülte jetzt die Gläser, indem er sie mit Wasser füllte und auf den Boden ausschüttete.
    »Anscheinend waren Sie in der Nacht des 16. September hier?«
    Grand-Louis saß mit krummem Buckel und aufgestützten Ellbogen am Tisch. Lannec antwortete, während er die Gläser füllte:
    »Wir waren hier, ja.«
    »Es ist recht selten, nicht wahr, daß Sie die Nacht im Vorhafen verbringen, wo Sie doch wegen der Flut ständig auf die Leinen achten

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