Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Schiffe mit komplizierten Gestängen und finsteren Aufbauten, die von Rost überzogen waren.
Vorsichtig ging er darauf zu, denn Schutt und Abfälle lagen hier nur so herum. Alte Kabel, Anker und Schrott. Er überquerte eine Planke, die als Steg diente, entdeckte einen fahlen Lichtschein zwischen den Ritzen.
»Grand-Louis!« rief er.
Sofort erlosch das Licht. Der Verschlag an der Luke fehlte. Grand-Louis kam halb empor und brummte:
»Was wollen Sie?«
Im gleichen Augenblick jedoch bewegte sich etwas anderes, unterhalb von ihm, im Bauch des Schiffsbaggers. Eine Gestalt schlich sich mit äußerster Behutsamkeit davon. Man hörte das Blech vibrieren, ein Rumpeln.
»Wer ist bei dir?«
»Bei mir?«
Maigret schaute sich suchend um und wäre dabei fast in den Laderaum des Baggers gefallen, wo der Schlick einen Meter hoch stand.
Da war noch jemand, das war sicher. Aber er war schon weit weg. Die knarrenden Geräusche kamen jetzt von einem anderen Teil des Baggers. Maigret wußte nicht, wohin er seine Füße setzen sollte. Er wußte nichts über die Räumlichkeiten dieses apokalyptischen Schiffes, schlug sich den Kopf an einen der Fördereimer.
»Du sagst nichts?«
Undeutliches Gemurmel, das wohl bedeuten sollte:
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
Zehn Männer wären nötig gewesen, um die beiden Bagger bei Nacht zu durchsuchen. Außerdem Männer, die sich hier auskannten! Maigret trat den Rückzug an. Durch den Regen trugen die Stimmen erstaunlich weit, denn er hörte, wie jemand im Hafen sagte:
»… gerade quer über den Kanal …«
Er trat näher. Es war der Erste Offizier des Dampfers aus Le Havre, der Delcourt etwas zeigte. Dieser war ganz durcheinander, als er Maigret bemerkte.
»Kaum zu glauben, daß sie es verloren haben, ohne es zu merken«, fuhr der Mann von dem Dampfer fort.
»Was?« erkundigte sich der Kommissar.
»Das Beiboot.« Er näselte stark.
»Welches Beiboot?«
»Gegen das wir gerade zwischen den Molen gestoßen sind. Es gehört zu dem Segelschiff, das vor uns fuhr. Der Name stand am Heck: ›Saint-Michel‹.«
»Es wird sich losgerissen haben«, meinte Delcourt schulterzuckend. »Das kommt vor.«
»Es hat sich nicht losgerissen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sich das Boot bei dem jetzigen Wetter nicht im Schlepptau befinden darf, sondern an Deck zu sein hat.«
Und die Männer, die in der Schleuse an ihren Posten standen, versuchten nach wie vor mitzuhören.
»Wir werden das morgen sehen. Lassen Sie das Boot hier.«
Delcourt wandte sich an Maigret und murmelte mit einem schiefen Lächeln:
»Sie sehen, was für ein lustiger Beruf das ist. Es gibt immer Geschichten!«
Der Kommissar jedoch lächelte nicht. Er war tiefernst, als er sagte:
»Hören Sie! Sollten Sie mich morgen früh um sieben, sagen wir um acht Uhr nicht sehen, dann rufen Sie bitte die Staatsanwaltschaft in Caen an.«
»Was ist …?«
»Gute Nacht! Und daß mir ja das Boot hierbleibt!«
Er wollte die anderen auch einmal im Ungewissen lassen, und so ging er, den Kragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen, entlang der Mole davon. Unter seinen Füßen, vor ihm, rechts und links von ihm brauste das Meer. Stark jodhaltige Luft blies ihm in die Lungen.
Fast am Ende der Mole angekommen, bückte er sich, um etwas aufzuheben.
5
Unsere Liebe Frau in den Dünen
A
ls der Tag anbrach, betrat Maigret mit schwerfälligen Schritten in einem vor Nässe triefenden Mantel, die Kehle ausgetrocknet, weil er eine Pfeife nach der anderen geraucht hatte, das Hôtel de l’Univers. Es war leer. Aber in der Küche fand er den Wirt, der gerade Feuer machte.
»Sind Sie die ganze Nacht draußen gewesen?«
»Ja. Würden Sie mir so bald wie möglich einen Kaffee auf mein Zimmer bringen? Kann man hier eigentlich irgendwo ein Bad nehmen?«
»Dazu muß ich erst den Kessel heizen.«
»Lohnt sich nicht.«
Ein grauer, immer noch oder wieder nebliger Morgen, aber der Nebel war heller, leuchtender. Maigret brannten die Augen, sein Kopf war leer. Er stellte sich an das offene Fenster und wartete auf seinen Kaffee.
Eine seltsame Nacht. Er hatte nichts Sensationelles getan. Man konnte auch kaum von Entdeckungen sprechen. Dennoch war er vorangekommen, was diese Tragödie betraf. Eine Vielzahl von Fakten war zu denen, die er bereits besessen hatte, hinzugekommen.
Die Ankunft der ›Saint-Michel‹. Lannecs Benehmen. Konnte man von einem verdächtigen Benehmen sprechen? Wohl kaum! Und trotzdem war er nicht ganz ehrlich. Aber
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