Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Untersuchung. Also mischen Sie sich bitte auch nicht in meine … Und wundern Sie sich bitte nicht, wenn ich Sie wegen Hausfriedensbruch und Einbruch verklage.«
War das nun komisch oder tragisch? Man hätte es schwerlich sagen können. Er wollte Würde zeigen. Er hielt sich sehr aufrecht. Aber seine Lippe blutete, sein Gesicht war ein einziger blauer Fleck! Sein Hausmantel war zerknittert!
Und dieser Grand-Louis schien ihn zu ermutigen.
Und vor allem die vorausgegangene Szene, die nicht schwer zu rekonstruieren war: Der Exhäftling, der wie ein Wilder auf ihn einschlug, der so lange und so heftig schlug, bis er am Ende seiner Kräfte war und keine Faust mehr heben konnte.
»Bitte entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister, wenn ich nicht sofort gehe. Da Sie der einzige in Ouistreham sind, der nachts telefonisch zu erreichen ist, habe ich mir erlaubt, mir einige Anrufe hierher zu bestellen.«
»Machen Sie die Tür zu«, war Monsieur Grandmaisons einzige Antwort darauf.
Denn sie stand noch auf. Monsieur Grandmaison nahm eine der dicken Zigarren vom Kamin und wollte sie anzünden, aber die Berührung des Tabaks mit seiner geplatzten Lippe war wohl zu schmerzhaft, denn er warf sie wütend wieder weg.
»Verbindest du mich bitte mit Caen, Lucas?«
Unablässig beobachtete er den Bürgermeister, dann Grand-Louis, dann wieder den Bürgermeister. Und es fiel ihm schwer, sich auf die Ereignisse zu konzentrieren.
Auf den ersten Blick schien es zum Beispiel, als sei von den beiden Männern Monsieur Grandmaison der Unterlegene, der Schwächere, nicht nur physisch, sondern auch moralisch.
Er war verprügelt und in einer Situation überrascht worden, wie sie demütigender nicht hätte sein können.
Und doch stimmte es nicht ganz: Innerhalb weniger Minuten hatte er seine Sicherheit wiedergewonnen, war es ihm teilweise gelungen, sein Prestige als angesehener Bürger wiederherzustellen.
Er war beinahe ruhig. Sein Blick war hochmütig.
Grand-Louis’ Rolle war einfach. Er hatte die Oberhand gehabt. Er war nicht verwundet, hatte nicht einmal einen blauen Fleck. Und sein Lächeln vorhin hatte von einer geradezu kindlichen Freude gezeugt.
Nun schien er sich allmählich zu langweilen, schien nicht zu wissen, was er tun, wohin er gehen oder blicken sollte.
Und Maigret überlegte, wer von den beiden wohl das Sagen hatte. War es Grandmaison? In bestimmten Augenblicken, ja, doch dann auch wieder Louis. Er kam zu keinem endgültigen Schluß.
»Hallo! Die Polizei in Caen? … Kommissar Maigret bittet mich, Ihnen auszurichten, daß er die ganze Nacht im Haus des Bürgermeisters sein wird … Ja, wählen Sie die Nummer 1 … Hallo! Gibt es was Neues? … Schon in Lisieux? … Danke, ja!«
Und zu seinem Chef:
»Der Wagen ist gerade durch Lisieux gekommen. Er wird in einer dreiviertel Stunde hier sein.«
»Habe ich richtig gehört, daß …« begann der Bürgermeister.
»… daß ich die ganze Nacht bleibe, ja. Mit Ihrer Erlaubnis, selbstverständlich. Sie haben mir schon zweimal von Ihren persönlichen Ermittlungen berichtet, so daß ich es für das Beste halte, die Resultate, zu denen jeder von uns gekommen ist, zusammenzufassen, wenn ich Sie darum bitten darf?«
Maigret war nicht ironisch. Er war wütend über diese unglaubliche Situation, in die er sich gebracht hatte. Wütend, weil er sich nicht mehr darin auskannte.
»Wollen Sie, Grand-Louis, mir den Grund nennen, weshalb Sie, als wir eintraten … hm … weshalb Sie so böse auf den Herrn Bürgermeister einschlugen?«
Aber Grand-Louis antwortete nicht, sah zum Reeder hinüber, als wollte er sagen:
»Reden Sie!«
Und Monsieur Grandmaison sagte schroff:
»Das ist meine Sache.«
»Selbstverständlich! Jedermann hat das Recht, sich verprügeln zu lassen, wenn er das mag!« brummte Maigret zornig. »Lucas, verbinde mich mit dem Hôtel de Lutèce!«
Der Hieb saß. Monsieur Grandmaison riß den Mund auf, um etwas zu sagen. Seine Hand auf dem Marmorsims des Kamins verkrampfte sich.
Lucas sprach ins Telefon:
»Drei Minuten Wartezeit? … Danke, ja.«
Und Maigret mit erhobener Stimme:
»Finden Sie nicht, daß diese Untersuchung eine merkwürdige Wendung nimmt? Bei der Gelegenheit, Monsieur Grandmaison, könnten Sie mir vielleicht einen kleinen Gefallen erweisen. Sie als Reeder kennen doch sicher Leute aus vielerlei Ländern. Haben Sie schon von einem gewissen … warten Sie … einem gewissen Martineau oder Motineau gehört? Aus Bergen oder Trondheim. Ein Norweger
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