Maigret und der gelbe Hund
… Man muß abwarten …«
Ganz allein am Tisch aß Leroy mit den Manieren eines wohlerzogenen Jungen, wischte sich fortwährend mit der Ecke seiner Serviette die Lippen ab.
Die Leute vom Markt beobachteten die Fassade des Cafés in der dunklen Hoffnung, daß dort etwas geschehe.
Ein Gendarm stand angelehnt an der Ecke des Gäßchens, durch welches der Vagabund verschwunden war.
»Der Herr Bürgermeister verlangt Kommissar Maigret am Telefon!«
Leroy wurde unruhig und beauftragte Emma:
»Gehen Sie nach oben, um ihn zu benachrichtigen.«
Aber das Serviermädchen kam wieder und verkündete:
»Er ist weg!«
Der Inspektor rannte die Treppe hinauf, wobei er drei Stufen auf einmal nahm, kam kreidebleich zurück und griff nach dem Hörer.
»Hallo … Ja, Herr Bürgermeister! … Ich weiß nicht … Ich … Ich bin sehr beunruhigt … Der Kommissar ist nicht mehr da … Hallo! Nein! Ich kann Ihnen nichts weiter darüber sagen … Er hat auf seinem Zimmer zu Abend gegessen … Ich habe ihn nicht herunterkommen sehen … Ich … ich werde Sie gleich wieder anrufen …«
Und Leroy, der seine Serviette nicht losgelassen hatte, benutzte sie, um sich damit die Stirn abzuwischen.
7
Das Pärchen im Kerzenschein
Erst eine halbe Stunde später ging der Inspektor in sein eigenes Zimmer hinauf. Auf dem Tisch fand er einen Zettel, auf welchem in Morseschrift geschrieben stand:
Steigen Sie heute abend gegen elf Uhr unbemerkt auf das Dach. Sie werden mich dort antreffen. Keinen Mucks. Kommen Sie bewaffnet. Sagen Sie, ich sei nach Brest abgereist, von wo aus ich Sie angerufen hätte. Verlassen Sie das Hotel nicht.
Maigret
Kurz vor elf zog Leroy seine Schuhe aus, legte Filzpantoffeln an, die er eigens für dieses Unternehmen, das ihn nicht unbeeindruckt ließ, am Nachmittag gekauft hatte.
Vom zweiten Stock weg gab es keine Treppe mehr, aber eine feststehende Leiter, die an einer Klappe in der Decke endete und auf einen Dachboden führte, wo es wegen der Zugluft eisig kalt war und wo der Inspektor es wagte, ein Streichholz zu entfachen.
Wenige Augenblicke später durchstieg er die Dachluke, traute sich jedoch nicht gleich, auf das Sims hinauszuklettern. Alles war kalt. Seine Finger, die die Zinkplatten berührten, wurden steif. Und Leroy hatte sich nicht mit einem Mantel belasten wollen.
Als seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, glaubte er eine dunkle, gedrungene Masse zu erkennen, wie ein riesieges Tier auf der Lauer. Seine Nase erkannte den Pfeifenqualm wieder. Er pfiff leise.
Einen Augenblick später kauerte er neben Maigret auf dem Sims. Weder das Meer noch die Stadt waren zu erkennen. Man befand sich auf der vom Quai wegliegenden Seite des Dachs, am Rande eines schwarzen Grabens, der nichts weiter war als die berüchtigte Gasse, durch welche der Vagabund mit den großen Füßen entkommen war.
Die Dächer ringsherum waren unterschiedlich hoch. Es gab sehr tief liegende Dächer und auch solche, die sich in Höhe der beiden Männer befanden. Da und dort drang Licht aus den Fenstern. Bei manchen waren die Vorhänge gezogen, auf denen regelrechte chinesische Schattenspiele aufgeführt wurden. In einem ziemlich weit entfernten Zimmer wusch eine Frau einen Säugling in einem Emailbecken.
Die Masse des Kommissars setzte sich in Bewegung, begann vielmehr zu kriechen, bis Maigret den Mund am Ohr seines Begleiters hatte.
»Vorsicht! Keine hastigen Bewegungen. Das Sims ist nicht solide, und unter uns verläuft eine Regenrinne, die nur darauf wartet, mit Gepolter hinabzustürzen … Was machen die Journalisten?«
»Sie sind unten, außer einem, der Sie in Brest sucht, davon überzeugt, daß Sie Goyard auf der Spur sind.«
»Emma?«
»Keine Ahnung. Ich habe nicht auf sie geachtet. Sie hat mir nach dem Abendessen den Kaffee serviert.«
Es war verwirrend, auf diese Weise, ohne daß irgend jemand davon wußte, auf einem Haus voller Leben zu sitzen, voller Leute, die im Warmen umhergingen, im Licht, ohne leise reden zu müssen.
»Gut. Drehen Sie sich sachte zu diesem Haus um, das zu verkaufen ist. Langsam!«
Es war das zweite Haus rechts, eines der wenigen, die gleich hoch wie das Hotel waren. Es lag in völliger Dunkelheit da, und dennoch kam es dem Inspektor so vor, als spiegle sich ein Lichtschimmer in einer Fensterscheibe im zweiten Stock, hinter der keine Gardinen hingen.
Nach und nach stellte er fest, daß es sich nicht um einen Widerschein handelte, der von draußen kam, sondern um ein schwaches
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