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Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zu werden. So, daß Leroy versuchte, Maigret noch fester zu packen, als wolle er sich selbst beruhigen.
    Emma weinte noch immer. Ihre Haube saß mittlerweile schief. Ihr Knoten würde sich lösen. Irgendwo wurde ein Fenster geschlossen, was eine Sekunde lang ablenkte.
    »Kommissar … ob wir …«
    Der Tabakgeruch umhüllte die beiden Männer und gaukelte ihnen Wärme vor.
    Weshalb faltete Emma die Hände? Wieder redete sie … In ihrem verzerrten Gesicht lag gleichzeitig Entsetzen, Flehen und Schmerz, und Inspektor Leroy hörte, wie Maigret seinen Revolver entsicherte.
    Nur fünfzehn bis zwanzig Meter lagen zwischen den beiden Gruppen. Ein sprödes Klicken, eine Fensterscheibe, die in Scherben zerspringen würde, und der Hüne wäre außerstande, Schaden anzurichten.
    Mittlerweile ging er auf und ab, die Hände auf dem Rücken, und er wirkte kürzer, breiter. Mit dem Fuß stieß er an das Hähnchen. Um ein Haar wäre er ausgerutscht, und aus lauter Wut gab er ihm einen Tritt, daß es in den Schatten flog.
    Emma schaute dorthin.
    Was sie wohl sagen mochten? Was war das Leitmotiv dieses dramatischen Dialogs?
    Denn der Mann schien die gleichen Worte zu wiederholen. Aber wiederholte er sie nicht sanfter?
    Sie fiel auf die Knie, warf sich ihm vielmehr in die Quere und streckte die Arme nach ihm aus. Er tat so, als sähe er sie nicht, wich ihr aus, und schon war sie nicht mehr auf den Knien, sondern lag fast am Boden, mit flehender Geste.
    Bald war der Mann zu sehen, bald verschluckte ihn der Schatten. Als er wiederkam, stellte er sich vor das klagende Mädchen, das er von oben bis unten musterte.
    Wieder fing er an zu gehen, kam näher, entfernte sich erneut, und nun ging ihr die Kraft oder der Mut aus, ihre Arme nach ihm auszustrecken, ihn anzuflehen. Sie ließ sich der ganzen Länge nach auf die Dielen fallen. Die Weinflasche stand weniger als zwanzig Zentimeter von ihrer Hand weg.
    Es kam unerwartet. Der Vagabund beugte sich nieder oder streckte vielmehr seine schweren Pranken aus, packte Emma an den Schultern, an der Kleidung, und mit einem einzigen Ruck stellte er sie auf die Beine. Und zwar so brutal, daß sie taumelte, als sie nicht mehr gehalten wurde.
    Aber verriet ihr verzerrtes Gesicht nicht dennoch eine Hoffnung? Ihr Haarknoten hatte sich gelöst. Die weiße Haube lag auf dem Fußboden.
    Der Mann ging auf und ab. Zweimal wich er seiner fassungslosen Partnerin aus.
    Beim dritten Mal nahm er sie in die Arme, preßte sie an sich, zog ihr den Kopf nach hinten. Und gierig preßte er seine Lippen auf die ihren.
    Nur noch sein Rücken war zu sehen, ein unmenschlicher Rücken, an dessen Schulter sich eine kleine Frauenhand geklammert hatte.
    Der Rohling hatte das Bedürfnis, mit seinen groben Fingern das herabhängende Haar zu liebkosen, ohne die Lippen von den ihren zu lösen, es zu streicheln, als wolle er seine Begleiterin vertilgen, zerdrücken, besser: sich einverleiben.
    »Hat man Worte!« sagte der Inspektor mit versagender Stimme.
    Und Maigret war derart angepackt worden, daß er deswegen um ein Haar in Lachen ausgebrochen wäre.
     
    War Emma seit einer Viertelstunde dort drüben? Der Mann hatte von ihr abgelassen. Die Kerze reichte bloß noch für fünf Minuten. Und die Entspannung, die sich eingestellt hatte, war beinahe greifbar.
    Lachte das Serviermädchen nicht? Irgendwo mußte sie ein Stück von einem Spiegel aufgetrieben haben. Mitten im Licht sah man, wie sie ihr langes Haar einrollte, es mit einer Nadel feststeckte, am Boden eine weitere Nadel suchte, die sie verloren hatte, und sie zwischen den Zähnen hielt, während sie ihre Haube aufsetzte.
    Sie war beinahe hübsch. Sie war hübsch! Alles an ihr war ergreifend, sogar ihre flachen Hüften, ihr schwarzes Kleid, ihre geröteten Augenlider. Der Mann hatte das Hähnchen aufgehoben. Und ohne sie dabei aus den Augen zu lassen, biß er mit Appetit hinein, ließ die Knochen krachen, riß Fleischfetzen heraus.
    Er suchte in seiner Tasche nach einem Messer, fand keines und zerbrach den Flaschenhals, indem er ihn auf den Absatz schlug. Er trank. Er forderte Emma zum Trinken auf, die lachend versuchte, sich zu weigern. Ob ihr etwa das zerschlagene Glas Angst machte? Er brachte sie aber dazu, den Mund zu öffnen, und flößte ihr langsam von dem Getränk ein.
    Sie verschluckte sich, hustete. Da packte er sie bei den Schultern, küßte sie erneut, aber nicht mehr auf die Lippen. Er küßte sie ausgelassen ab, auf die Wangen, auf die Augen, auf die Stirn und

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