Maigret und der gelbe Hund
sogar auf ihr Spitzenhäubchen.
Sie war bereit. Er kam zum Fenster und drückte das Gesicht dagegen, und wieder einmal füllte er nahezu das gesamte helle Rechteck aus. Als er sich wieder umdrehte, löschte er die Kerze aus.
Inspektor Leroy war aufgeregt.
»Sie gehen zusammen fort.«
»Ja.«
»Sie werden geschnappt werden.«
Der Johannisbeerstrauch im Garten raschelte. Dann wurde eine Gestalt auf den Mauerabsatz emporgehoben. Und schon befand sich Emma in der Sackgasse und wartete auf ihren Geliebten.
»Du wirst ihnen von weitem folgen. Sie dürfen dich auf keinen Fall bemerken! Du wirst mir Bescheid geben, sobald du kannst.«
So wie es der Vagabund mit seiner Begleiterin getan hatte, half Maigret dem Inspektor, sich an den Schieferziegeln bis zur Dachluke hochzuziehen. Dann beugte er sich nach vorn, um einen Blick in die Sackgasse zu werfen, wo man von den beiden nur die Köpfe sah.
Sie zögerten. Sie flüsterten. Dann zog Emma den Mann in einen Schuppen, in dem sie verschwanden, denn die Tür war nur mit einem Riegel verschlossen.
Es handelte sich um den Schuppen des Tauhändlers. Er stand mit dem Laden in Verbindung, in welchem sich zu dieser Uhrzeit niemand befand. Bloß ein Schloß war aufzubrechen, und das Pärchen würde zum Quai gelangen.
Leroy aber würde vor den beiden dort sein.
Sobald er auf der Leiter vom Dachstock hinabgestiegen war, begriff der Kommissar, daß etwas Außergewöhnliches vor sich ging. Er vernahm ein Geraune im Hotel. Unten läutete das Telefon mitten im Gewirr der Stimmen.
Auch die Stimme von Leroy war darunter, der wohl telefonieren mußte, denn er sprach besonders laut.
Maigret stürzte die Treppe hinunter, gelangte ins Erdgeschoß, stieß auf einen Journalisten.
»Was ist los?«
»Wieder ein Mordanschlag. Vor einer Viertelstunde. In der Stadt. Der Verletzte ist zur Apotheke transportiert worden.«
Zuerst eilte der Kommissar auf den Quai hinaus und gewahrte einen laufenden Gendarmen, der mit seinem Revolver herumfuchtelte. Selten war der Himmel derart schwarz gewesen. Maigret holte den Mann ein.
»Was ist los?«
»Ein Pärchen ist gerade aus dem Laden gekommen. Ich bin gegenüber auf und ab gegangen. Der Mann ist mir fast in die Arme gelaufen. Es hat keinen Zweck mehr hinunterzurennen. Sie sind wohl schon über alle Berge!«
»Erzählen Sie mal!«
»Ich hörte ein Geräusch im Laden, aus dem kein Licht fiel. Ich legte mich auf die Lauer, die Waffe in der Hand. Die Tür ist aufgegangen, ein Kerl ist herausgekommen. Aber ich habe keine Zeit gehabt, auf ihn zu zielen. Er hat mir einen solchen Schlag ins Gesicht versetzt, daß ich zu Boden gestürzt bin. Ich habe meinen Revolver losgelassen. Ich hatte bloß vor etwas Angst, nämlich davor, daß er ihn ergreifen würde … Aber nein! Er holte eine Frau, die im Eingang wartete. Sie konnte nicht laufen. Er hat sie in die Arme genommen. Bis ich aufgestanden war, Kommissar … Solch ein Faustschlag! Sehen Sie! Ich blute. Sie sind am Quai entlanggeflüchtet. Sie mußten um das Hafenbecken herum. Dort gibt es eine Unmenge von kleinen Straßen, dahinter das offene Land.«
Mit seinem Taschentuch tupfte sich der Gendarm die Nase ab.
»Er hätte mich umbringen können! Seine Faust ist ein Hammer.«
Noch immer vernahm man ein Stimmengewirr vom Hotel her, aus dessen Fenstern Licht fiel.
Maigret ließ den Gendarmen allein, ging um die Ecke, sah die Apotheke, deren Läden geschlossen waren, deren Tür aber offen stand und eine Flut von Licht herausströmen ließ.
Ein Knäuel von etwa zwanzig Leuten drängte sich vor dieser Tür. Der Kommissar stieß sie mit den Ellbogen auseinander.
Im Labor lag ein Mann auf dem bloßen Fußboden ausgestreckt und stieß in gleichmässigen Abständen stöhnende Laute aus, wobei er an die Decke starrte.
Die Frau des Apothekers, im Nachthemd, machte allein mehr Lärm als alle Leute zusammen.
Und der Apotheker selbst, der über seinen Schlafanzug eine Jacke angezogen hatte, war völlig außer sich, hantierte mit Fläschchen herum, zupfte dicke Wattebäusche auseinander.
»Wer ist das?« fragte Maigret.
Er wartete nicht auf die Antwort, denn er hatte die Uniform des Zöllners erkannt, dem man ein Hosenbein aufgerissen hatte. Und nun erkannte er auch das Gesicht wieder.
Es handelte sich um jenen Zöllner, der am Freitag zuvor im Hafen Wache gestanden und von weitem das Verbrechen miterlebt hatte, dessen Opfer Mostaguen gewesen war.
Ein Arzt traf ein, geschäftig, schaute auf den Verletzten,
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