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Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Licht im Innern. Je länger er denselben Punkt im Raum anstarrte, desto deutlicher nahmen dort Dinge Gestalt an.
    Ein gebohnerter Fußboden … Eine halb niedergebrannte Kerze, deren Flamme ganz gerade stand, umgeben von einem Lichthof.
    »Er ist da,« sagte er auf einmal, und seine Stimme wurde unwillkürlich lauter.
    »Psst! Ja …«
    Jemand lag auf dem bloßen Fußboden, zur Hälfte in dem von der Kerze beleuchteten Bereich, zur anderen Hälfte im Halbdunkel. Ein riesiger Schuh war zu sehen, ein breiter Oberkörper in einem enganliegenden Pullover.
    Leroy wußte, daß sich ein Gendarm am Ende der Gasse befand, ein weiterer auf dem Platz, noch ein weiterer ging auf dem Quai auf und ab.
    »Wollen Sie ihn festnehmen?«
    »Ich weiß nicht. Er schläft schon seit drei Stunden.«
    »Ist er bewaffnet?«
    »Heute morgen war er es nicht …«
    Die Silben, die gesprochen wurden, waren kaum zu erraten. Es war ein undeutliches Geraune, das im Hauch der Atemstöße unterging.
    »Worauf warten wir?«
    »Ich weiß nicht … Ich möchte wissen, weshalb er eine Kerze angezündet hat, wo man ihm doch nachstellt und er schläft … Achtung!«
    Ein gelbes Viereck war soeben auf einer Mauer erschienen.
    »Man hat gerade in Emmas Zimmer Licht gemacht, unter uns. Es ist der Widerschein.«
    »Haben Sie nicht zu Abend gegessen, Kommissar?«
    »Ich hatte mir Brot und Wurst mitgenommen. Ist Ihnen nicht kalt?«
    Sie froren alle beide. In regelmäßigen Abständen sahen sie den Lichtstrahl des Leuchtturms über den Himmel streichen.
    »Sie hat es ausgemacht.«
    »Ja. Pst!«
    Fünf Minuten Stille, eintöniges Warten. Dann suchte die Hand von Leroy diejenige Maigrets, drückte sie vielsagend.
    »Unten …«
    »Ich hab’s gesehen …«
    Ein Schatten auf der mit Kalk verputzten Mauer, die den Garten des unbewohnten Hauses von der Gasse trennte.
    »Sie geht zu ihm«, flüsterte Leroy, der nicht den Mund halten konnte.
    Der Mann oben schlief immer noch bei seiner Kerze. Im Garten raschelte ein Johannisbeerstrauch. Eine Katze suchte auf einer Dachrinne das Weite.
    »Haben Sie kein Luntenfeuerzeug?«
    Maigret wagte es nicht, seine Pfeife wieder anzuzünden. Er zögerte lange. Schließlich ließ er sich mit der Jacke seines Begleiters abschirmen und entfachte rasch ein Streichholz, während der Inspektor erneut den warmen Tabakgeruch einsog.
    »Sehen Sie mal!«
    Sie sagten nichts mehr. Der Mann erhob sich mit einer so plötzlichen Bewegung, daß er um ein Haar die Kerze umgestoßen hätte. Er wich in den Schatten zurück, während sich die Tür öffnete und Emma im Licht auftauchte, zögernd, so jämmerlich, daß sie wie eine Schuldige wirkte.
    Sie hielt etwas unter dem Arm: Eine Flasche und ein Bündel, das sie auf den Boden abstellte. Das Papier ging teilweise auf, ließ ein gebratenes Hähnchen sichtbar werden.
    Sie redete. Ihre Lippen bewegten sich. Sie sprach nur wenige Worte, bescheiden, traurig. Ihr Gesprächspartner aber war für die Polizisten nicht zu sehen.
    Weinte sie nicht? Sie trug ihr schwarzes Servierkleid, ihre bretonische Trachtenhaube. Nur ihre weiße Schürze hatte sie abgelegt, wodurch ihre Haltung noch gekrümmter schien als gewöhnlich.
    Ja! Sie mußte wohl weinen beim Reden … Stockend sagte sie ein paar Worte. Und der Beweis war, daß sie sich plötzlich gegen die Türverkleidung lehnte und ihr Gesicht im angewinkelten Arm verbarg. Ihr Rücken hob sich in unregelmäßigem Rhythmus.
    Als der Mann wieder auftauchte, verdunkelte er fast das gesamte Rechteck des Fensters, gab dann die Sicht frei, indem er in den Hintergrund des Raumes ging. Seine große Hand fiel auf die Schulter des Mädchens nieder und versetzte ihr einen solchen Stoß, daß sie eine ganze Kehrtwendung machte, beinahe hingefallen wäre und ihr jämmerlich bleiches Gesicht mit Lippen, die vom Schluchzen geschwollen waren, sichtbar wurde.
    All das war jedoch so undeutlich, so verschwommen wie ein Film im Kino, wenn die Lampen im Saal wieder eingeschaltet werden. Und noch etwas fehlte: die Geräusche, die Stimmen …
    Genau wie ein Film: ein Film ohne Musik.
    Obwohl es der Mann war, der redete. Und er redete wohl laut. Er war wie ein Gorilla. Den Kopf dicht auf den Schultern, den Oberkörper in einem hautengen Pullover, der seine Brustmuskeln hervortreten ließ, das Haar kurzgeschoren, wie bei einem Sträfling, die Fäuste in die Hüften gestemmt, schleuderte er ihr Vorwürfe, Schimpfwörter oder Drohungen ins Gesicht.
    Er war wohl drauf und dran, handgreiflich

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