Maigret und der gelbe Hund
Chefredakteur eines Provinzblattes in Nevers, glaube ich. Dann schließlich übernahm er die Leitung eines Nachtlokals.
›Einer, der schwimmen kann.‹ Das sind die Worte des Wachtmeisters. Allerdings hat er hinzugefügt: ›Ein guter Kerl; als ihm klar geworden ist, daß er letzten Endes entweder sein bißchen Vermögen durchbringen oder Ärger bekommen würde, hat er es vorgezogen wieder in die Provinz einzutauchen‹.«
»Na und?«
»Ich frage mich, weswegen er diesen Anschlag fingiert hat. Ich habe mir nämlich den Wagen wieder angesehen. Es gibt Blutspuren, echte. Aber wenn er angegriffen worden ist, weshalb gibt er kein Lebenszeichen, wo er doch nun in Brest herumläuft?«
»Sehr gut!«
Der Inspektor sah Maigret scharf an, um herauszufinden, ob dieser sich nicht lustig mache. Aber keineswegs! Der Kommissar war ernst, den Blick auf einen Fleck Sonne geheftet, der sich weit draußen auf dem Meer abzeichnete.
»Was Le Pommeret anbelangt …«
»Haben Sie Hinweise?«
»Sein Bruder ist zum Hotel gekommen, um Sie zu sprechen. Er hatte keine Zeit zu warten. Er hat kein gutes Haar an dem Ermordeten gelassen. Seiner Meinung nach war es sehr schlimm: ein Faulenzer … Zwei Leidenschaften: die Frauen und die Jagd … Dann noch die Manie, Schulden zu machen und den großen Herren hervorzukehren. Eine Einzelheit von hunderten. Der Bruder, der wohl der größte Unternehmer am Platze ist, hat mir erklärt:
›Ich gebe mich damit zufrieden, meine Kleidung in Brest einzukaufen. Sie ist dort zwar nicht sehr fein, aber solide und bequem. Yves ließ seine Kleider in Paris in Auftrag geben. Und er brauchte Schuhe, die das Zeichen eines großen Schuhfabrikanten trugen! Nicht einmal meine Frau trägt maßgearbeitetes Schuhwerk‹.«
»Zum Piepen!« sagte Maigret zur großen Bestürzung, wenn nicht gar zur Entrüstung seines Kollegen.
»Wieso?«
»Köstlich, wenn Ihnen das lieber ist! Wir tauchen ja, wie Sie vorhin gesagt haben, mit einem wahren Hechtsprung ins Provinzleben ein! Es ist zu schön! Ob Le Pommeret Konfektionsschuhe oder Schuhe nach Maß trug – das hört sich völlig unwesentlich an. Aber, ob Sie mir glauben oder nicht, genau das ist der Kern des Dramas. Gehen wir einen Aperitif trinken, Leroy! So, wie diese Leute … im Hôtel de l’Amiral!«
Der Inspektor musterte seinen Chef noch einmal, wobei er sich fragte, ob er ihn nicht etwa gerade auf die Schippe nehme. Er hatte sich für seine Aktivitäten vom Morgen und seine Initiativen Lob erhofft.
Und Maigret schien das alles nicht ernst zu nehmen! Es spielte sich die gleiche Szene ab, wie wenn ein Lehrer den Klassenraum betritt, wo die Schüler am Schwatzen sind. Die Gespräche verstummten. Die Journalisten stürzten dem Kommissar entgegen.
»Kann die Verhaftung des Doktors bekanntgemacht werden? Hat er ein Geständnis abgelegt?«
»Von wegen!«
Maigret trieb sie mit einer Geste auseinander und sagte zu Emma: »Zwei Pernod, mein Kleines.«
»Aber schließlich haben Sie doch Monsieur Michoux festgenommen …«
»Wollen Sie die Wahrheit wissen?«
Schon hatten sie ihre Notizblöcke zur Hand. Sie warteten, mit gezücktem Federhalter.
»Nun denn, es gibt noch keine Wahrheit. Vielleicht wird es eines Tages eine geben. Vielleicht auch nicht.«
»Es wird behauptet, daß Jean Goyard …«
»Am Leben ist! Um so besser für ihn!«
»Aber es gibt doch einen Mann, der sich versteckt, nach dem man vergebens fahndet …«
»Was die Unterlegenheit des Jägers gegenüber dem Wild beweist!«
Und Maigret sagte leise, wobei er Emma am Armel festhielt:
»Serviere mir mein Abendessen auf meinem Zimmer.«
In einem Zug trank er seinen Aperitif und stand auf.
»Einen guten Rat. Messieurs: Keine voreiligen Schlüsse! Und vor allem keine Rückschlüsse.«
»Und der Schuldige?«
Er zuckte mit seinen breiten Schultern und hauchte:
»Wer weiß?«
Er war schon am Fuß der Treppe. Inspektor Leroy warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Nein, mein Lieber. Essen Sie am Gästetisch. Ich muß mich ausruhen.«
Man hörte ihn schleppenden Schrittes die Treppenstufen hinaufsteigen. Zehn Minuten später ging auch Emma mit einer Platte hinauf, auf welcher eine Vorspeise angerichtet war.
Sodann sah man, wie sie eine Kammuschel, Kalbsbraten und Spinat hinaufbrachte.
Das Gespräch im Speisesaal schlief ein. Einer der Journalisten wurde ans Telefon gerufen und erklärte:
»Gegen vier Uhr, ja! Ich hoffe, Ihnen einen Sensationsbericht übermitteln zu können … Jetzt noch nicht!
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