Maigret und der gelbe Hund
Tabakqualm in die Sonne.
»Sie haben Glück, mein Lieber! Vor allem, was diesen Fall betrifft, wo meine Methode darin bestand, keine zu haben … Wenn Sie einen guten Rat möchten, wenn Sie Wert auf Ihr Fortkommen legen, so nehmen Sie sich bloß an mir kein Beispiel, und versuchen Sie auch nicht, von dem, was Sie mich tun sehen, Theorien abzuleiten …«
»Trotzdem … ich stelle fest, daß Sie sich mittlerweile den materiellen Indizien zuwenden, nachdem …«
»Eben, nachdem! Nach allem! Anders gesagt, ich bin die Ermittlungen von der verkehrten Seite angegangen, was mich jedoch vielleicht nicht daran hindern wird, die nächsten von der richtigen Seite anzugehen … Eine Frage der Atmosphäre. Eine Frage der Gesichter. Als ich hierher gekommen bin, bin ich auf ein Gesicht gestoßen, das mich in seinen Bann gezogen hat, und ich habe nicht mehr von ihm abgelassen.«
Aber er sagte nicht, welches dieses Gesicht war. Er hob ein altes Bettlaken an, das eine Kleiderablage verbarg. Sie enthielt eine bretonische Tracht aus schwarzem Samt, die Emma wohl für Festtage aufheben mochte.
Auf dem Waschtisch lagen ein Kamm mit vielen abgebrochenen Zähnen, Haarnadeln und eine Dose Gesichtspuder von zu kräftigem Rosa. Das, was er zu suchen schien, fand er in einer Schublade: ein Kästchen, das mit schillernden Muscheln verziert war, wie sie auf allen Märkten der Küste verkauft werden. Es war vielleicht zehn Jahre alt, hatte Gott weiß welche Wege genommen und trug die Aufschrift: »Souvenir d’Ostende«.
Es entstieg ihm ein Geruch von altem Karton, von Staub, von Parfum und vergilbtem Papier. Maigret, der sich neben seinen Begleiter auf den Rand des Bettes gesetzt hatte, machte mit seinen groben Fingern die Bestandesaufnahme der bescheidenen Dinge.
Ein Rosenkranz aus geschliffenen, schillernden, blauen Glaskugeln lag darin, an einem dünnen, silbernen Kettchen ein Medaillon von der Erstkommunion, ein leeres Parfümfläschchen, das Emma wohl wegen seiner reizvollen Form aufbewahrt und das sie vielleicht im Zimmer eines weiblichen Gastes gefunden hatte.
Eine Papierblume, Erinnerung an einen Ball oder an ein Fest, fügte einen Ton von lebhaftem Rot hinzu.
Daneben ein kleines Kreuz aus Gold, der einzige Gegenstand von gewissem Wert.
Ein ganzer Stapel Postkarten. Auf einer davon war ein großes Hotel in Cannes abgebildet. Auf der Rückseite die Handschrift einer Frau:
Du kähmst besser her aus deinem Drekloch wos doch nur regnet. Und man verdiehnt gutt. Ma kann sofiehl essen wie man will. Es küst dich
Louise
Maigret reichte die Karte dem Inspektor und betrachtete dann aufmerksam eines dieser Fotos, die man auf dem Jahrmarkt bekam, wenn man beim Schießen ins Zentrum einer Zielscheibe traf.
Der Mann, der ein Auge geschlossen hielt, war kaum zu erkennen, da er ein Gewehr angelegt hatte. Er hatte enorme Schultern und trug eine Seemannsmütze auf dem Kopf. Und Emma, die in die Kamera hineinlächelte, hielt ihn demonstrativ am Arm. Unten an der Karte stand: »Quimper«.
Dann ein Brief, dessen Papier derart zerknittert war, daß er viele Male gelesen worden sein mußte:
Lieber Schatz,
Es ist abgemacht, es ist unterschrieben: Ich hab mein Boot. Es soll »La Belle-Emma« heißen. Der Pfarrer von Quimper hat mir versprochen, daß es nächste Woche getauft wird, mit Weihwasser, Korn, Salz und so, und es gibt richtigen Champagner, weil ich will, daß es ein Fest wird, von dem man hierzulande noch lang erzählt.
Am Anfang wird es mit dem Bezahlen noch ziemlich hart, weil ich der Bank zehntausend Francs im Jahr überweisen muß. Aber ich glaube, es wird hundert Quadratfaden Segel tragen und seine zehn Knoten machen. Mit dem Transport von Zwiebeln nach England ist ein gutes Geschäft zu machen. Das heißt, mit dem Heiraten dauert es nicht mehr lang. Für die erste Fahrt habe ich schon Fracht gefunden, aber die versuchen, mich übers Ohr zu hauen, weil ich neu bin.
Deine Chefin könnte Dir ruhig zwei Tage frei geben für die Taufe, weil nämlich alle besoffen sein werden und Du nicht nach Concarneau zurück kannst. In den Cafés habe ich schon Runden ausgeben müssen wegen dem Boot, das schon im Hafen liegt und eine nagelneue Flagge hat.
Ich lasse mich drauf fotografieren und schicke Dir das Foto. Ich liebe Dich und küsse Dich und hoffe, daß Du bald meine liebe Frau bist, Dein
Léon
Maigret schob den Brief in seine Tasche und betrachtete verträumt die Wäsche, die auf der anderen Seite der Sackgasse
Weitere Kostenlose Bücher