Maigret und der gelbe Hund
Weshalb sollte er denn nach Paris gegangen sein? Sagen Sie doch, und ohne mich!«
Sie weinte. Sie weinte so, wie manche Frauen zu weinen verstehen, mit vielen Tränen, die die Wangen hinunterrollten bis zum Kinn, während sie die Hand auf ihren üppigen Busen drückte.
Und sie zog die Nase hoch. Sie suchte nach ihrem Taschentuch. Dabei wollte sie auch noch reden.
»Ich schwöre Ihnen, daß das unmöglich ist! Ich weiß wohl, daß er ein wenig ein Schürzenjäger war. Aber das hätte er nicht gemacht! Immer wenn er zurückkam, bat er mich um Verzeihung. Verstehen Sie? … Sie sagen …«
Sie deutete auf die Journalisten.
»Sie sagen, er habe die Blutspuren höchstpersönlich in seinem Wagen angebracht, um ein Verbrechen vorzutäuschen. Aber dann hätte er ja gar nicht mehr zurückkommen wollen! Ich aber weiß, verstehen Sie, ich bin sicher, daß er zurückgekommen wäre! Er hätte nie ein lockeres Leben geführt, wenn ihn nicht die andern dazu angestiftet hätten … Monsieur Le Pommeret, der Doktor … und der Bürgermeister! Und alle andern, die mich auf der Straße nicht einmal grüßten, weil ich ihnen nicht gut genug war!
Man hat mir gesagt, daß er verhaftet worden sei. Ich will es einfach nicht glauben. Was soll er denn Böses getan haben? Er verdiente genug für die Art von Leben, das wir führten. Wir waren glücklich, auch wenn er es sich mal von Zeit zu Zeit leistete, auf die Pauke zu hauen.«
Maigret sah sie an, seufzte, nahm ein Glas, das auf dem Tisch stand, kippte den Inhalt in einem Zug hinunter und murmelte:
»Sie werden mich entschuldigen, Madame … Ich muß schlafen gehen.«
»Glauben Sie denn auch, daß er an etwas schuld ist?«
»Ich glaube nie etwas. Machen Sie es wie ich … Morgen ist auch noch ein Tag.«
Und er stieg schleppenden Schrittes die Treppe hinauf, wobei der Journalist, der nicht vom Telefon gewichen war, diesen letzten Satz aufgriff:
»Nach neuesten Informationen rechnet Kommissar Maigret damit, morgen das Rätsel endgültig zu lösen …«
In anderem Tonfall fügte er hinzu:
»Das ist alles, Mademoiselle. Richten Sie dem Chef unbedingt aus, er soll keine Zeile von meinem Text ändern. Er kann nicht verstehen … Man muß einfach an Ort und Stelle sein …«
Nachdem er aufgelegt hatte, steckte er seinen Notizblock in seine Tasche und bestellte:
»Einen Grog, Chef! Mit viel Rum und ganz klein wenig heißem Wasser.«
Unterdessen nahm Madame Goyard das Angebot eines Journalisten an, sie nach Hause zu fahren. Und sie fuhr mit ihren Vertraulichkeiten fort:
»Abgesehen davon, daß er ein wenig ein Schürzenjäger war … Aber Sie verstehen, Monsieur! So sind die Männer doch alle!«
9
Das Muschelkästchen
Maigret war am Morgen darauf so guter Laune, daß Inspektor Leroy ihm plaudernd zu folgen und ihm sogar Fragen zu stellen wagte.
Die Entspannung war übrigens allgemein, ohne daß man hätte sagen können, wieso. Vielleicht lag es am Wetter, das mit einmal schön geworden war. Der Himmel sah aus wie frisch gewaschen. Er war blau, von einem leicht blassen, aber vibrierenden Blau, in dem leichte Wolken schimmerten. Jedenfalls war der Horizont weiter, so als habe man das Himmelsgewölbe ausgehöhlt. Die spiegelglatte See funkelte und war mit kleinen Segeln gespickt, die wie Fähnchen auf einer Generalstabskarte wirkten.
Ein Sonnenstrahl genügte nämlich schon, um Concarneau zu verwandeln, denn dann erstrahlten die Festungsmauern der Altstadt, die im Regen trostlos aussahen, in fröhlichem, leuchtendem Weiß.
Die Journalisten im Erdgeschoß, ermüdet vom Hin und Her der letzten drei Tage, erzählten sich beim Kaffee Geschichten, und einer von ihnen war im Morgenrock heruntergekommen, die bloßen Füße in Hausschuhen.
Maigret selbst war in das Zimmer Emmas eingedrungen, das eher eine Mansarde war, deren Dachluke zur Gasse hin lag und dessen abgeschrägte Decke es nur in der Hälfte des Raumes erlaubte, aufrecht zu stehen.
Das Fenster stand offen. Die Luft war frisch, aber man spürte doch die wohltuende Sonne. Auf der anderen Seite des Gäßchens hatte eine Frau dies genutzt, um an ihrem Fenster Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Auf dem Hof einer Schule irgendwo schallte der Pausenlärm.
Und Leroy, der am Rande der kleinen, eisernen Bettstatt saß, bemerkte:
»Ich verstehe Ihre Methoden immer noch nicht ganz, Kommissar, aber ich glaube, daß ich so allmählich dahinterkomme …«
Maigret sah ihn mit seinen lachenden Augen an und blies eine dicke Wolke
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