Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
fahren.«
    Der Spaziergang durch die verwinkelten Straßen der Altstadt ließ seine gute Laune steigen. Und als er vor dem Portal der Gendarmerie eintraf, über dem die leuchtende französische Flagge hing, stellte er fest, daß durch den Zauber des Sonnenlichts, der drei Farben und der lichtüberfluteten Mauer die Atmosphäre von einer Heiterkeit durchdrungen war wie am Nationalfeiertag.
    Ein alter Gendarm, der auf der anderen Seite des Toreingangs auf einem Stuhl saß, las eine Illustrierte. Der Hof mit all seinen kleinen Pflastersteinen, die durch grüne Moosstreifen voneinander getrennt waren, strahlte die Ruhe eines Klosterhofes aus.
    »Wo ist der Inspektor?«
    »Sie sind alle unterwegs, der Inspektor, der Wachtmeister und fast das ganze Personal, auf der Suche nach dem Vagabunden, wissen Sie …«
    »Der Doktor hat sich nicht vom Fleck gerührt?«
    Der Mann lächelte und warf dabei einen Blick zum vergitterten Fenster des Gefängnisses auf der rechten Seite.
    »Keine Gefahr!«
    »Öffnen Sie mir die Tür, ja?«
    Und sobald die Riegel zurückgezogen waren, rief er in fröhlichem, freundschaftlichem Ton aus:
    »Guten Tag, Doktor! Haben Sie wenigstens gut geschlafen?«
    Aber er gewahrte bloß ein fahles Gesicht, so schmal wie eine Messerklinge, das auf einem Feldbett unter einer grauen Decke hervorlugte. Die Augen waren fiebrig und lagen tief in ihren Höhlen.
    »Nanu? Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Sehr schlecht«, brachte Michoux hervor, wobei er sich mit einem Seufzer auf seiner Pritsche aufrichtete. »Meine Niere …«
    »Man gibt Ihnen doch hoffentlich alles, was Sie brauchen?«
    »Ja … Sie sind sehr liebenswürdig …«
    Er hatte sich vollständig bekleidet hingelegt. Er zog die Beine unter der Decke hervor, setzte sich hin, fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Und Maigret setzte sich im selben Augenblick rittlings auf einen Stuhl, stützte sich mit den Ellbogen auf die Lehne, strotzend vor Gesundheit und Schwung.
    »Na, was ist! Ich sehe, daß Sie Burgunder bestellt haben!«
    »Meine Mutter hat ihn mir gestern mitgebracht … Ich hätte zu gerne diesen Besuch verhindert … Sie mußte in Paris Wind davon bekommen haben … Sie ist zurückgekommen.«
    Die Ringe unter den Augen strahlten bis zur Mitte der unrasierten Wangen aus, die eingefallener wirkten. Und die fehlende Krawatte sowie der zerknitterte Anzug steigerten das Bild des Jammers, das der Mann bot.
    Er hielt mit dem Reden inne, um zu husten. Er spuckte sogar demonstrativ in sein Taschentuch, das er betrachtete wie jemand, der sich vor der Tuberkulose fürchtet und sich voll Angst beobachtet.
    »Haben Sie Neuigkeiten?« fragte er müde.
    »Die Gendarmen haben Ihnen wohl von dem Zwischenfall der vergangenen Nacht erzählt?«
    »Nein … Was ist …? Wer wurde …?«
    Er hatte sich an die Wand gedrückt, so als fürchte er, angegriffen zu werden.
    »Bah! Ein Fußgänger hat eine Kugel ins Bein bekommen.«
    »Und hat man ihn, den … den Mörder? Ich kann nicht mehr, Kommissar! Sie müssen zugeben, daß es zum Verrücktwerden ist. Wieder ein Gast aus dem Café des Hôtel de l’Amiral, stimmt’s? … Auf uns hat man es abgesehen! Und ich grüble vergebens darüber nach, weswegen. Ja, weswegen? … Mostaguen! Le Pommeret! Goyard! Und das Gift, das für uns alle bestimmt war. Sie werden sehen, sie kriegen mich schließlich trotz allem, sogar hier! Aber weswegen, sagen Sie es mir?«
    Er war nicht mehr fahl. Er war leichenblaß. Und sein Anblick schmerzte, so sehr verkörperte er die Vorstellung von Panik, wie sie bemitleidenswerter, entsetzlicher nicht sein kann.
    »Ich wage nicht zu schlafen … Dieses Fenster da, sehen Sie! Es ist vergittert … Aber man kann hindurchschießen … nachts! So ein Gendarm, der kann einschlafen oder mit seinen Gedanken woanders sein. Für so ein Leben bin ich nicht geschaffen, nein! Gestern habe ich die ganze Flasche da getrunken, in der Hoffnung einzuschlafen. Und ich habe kein Auge zugetan! Mir war übel! Wenn man diesen Vagabunden doch nur schon hätte zur Strecke bringen können, mit seinem gelben Hund … Ist er wieder gesehen worden, der Hund? Streunt er noch immer um das Café herum? Ich begreife nicht, daß man ihm noch keine Kugel verpaßt hat, ihm und seinem Herrn!«
    »Sein Herr hat Concarneau letzte Nacht verlassen.«
    »Ach!«
    Der Doktor schien Mühe zu haben, daran zu glauben.
    »Unmittelbar nach … nach seinem neuen Verbrechen?«
    »Davor!«
    »Ja, wie? Das ist doch nicht möglich! Es ist anzunehmen,

Weitere Kostenlose Bücher