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Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sämtliche Gäste des Lokals mit hierher? Ich bin Tänzerin, Kleiner … Daß ich zum Trinken animiere, gehört dazu … Aber nach Diens t schluß läuft gar nichts …!«
    »Immerhin, mit René … «
    Er merkte rechtzeitig, daß er sich idiotisch benahm.
    »Nun, was?«
    »Nichts … Er hat mir gesagt … «
    »Dieser Blödian! Knapp sich getraut, mir einen Kuß zu geben, das hat er … Gib mir noch eine Zigarette … «
    Und dann, während sie einen Hut aufsetzte:
    »Raus jetzt! Ich muß Besorgungen machen … Komm! … Mach die Tür zu!«
    Sie stiegen hintereinander die dunkle Treppe hinunter.
    »Wohin gehst du?«
    »Ich muß wieder ins Büro.«
    »Kommst du heute abend?«
    Auf dem Gehsteig herrschte lebhaftes Gedränge. Sie verabschiedeten sich, und kurz darauf saß Jean Chabot an seinem Arbeitstisch vor einem Stapel Briefumschläge, die mit Briefmarken zu versehen waren.
    Ohne daß er genau hätte sagen können, warum, d o minierte in seiner Stimmung jetzt eher Kummer als Furcht. Voll Widerwillen sah er sich im Büro um, dessen Wände voller notarieller Anzeigen hingen.
    »Haben Sie die Quittungen?« erkundigte sich der Kanzleichef.
    Er reichte sie ihm.
    »Und die von der ›Gazette de Liège‹? Haben Sie die ›Gazette de Liège‹ vergessen?«
    Eine Tragödie! Eine Katastrophe! Der Ton des Kan z leichefs war tragisch!
    »Hören Sie, Chabot, ich muß Ihnen sagen, daß es nicht so weitergeht! Arbeit ist Arbeit, und Pflicht ist Pflicht! Ich werde nicht umhin können, mit dem Chef darüber zu sprechen. Im übrigen ist mir zu Ohren g e kommen, daß Sie nachts in recht zweifelhaften Lokalen anzutreffen sind, in die ich persönlich noch keinen Fuß gesetzt habe. Offen gesagt, Sie scheinen auf Abwege g e raten zu sein. Sehen Sie mich an, wenn ich mit Ihnen spreche! Und setzen Sie nicht diese ironische Miene auf! Verstanden? Bilden Sie sich bloß nicht ein, daß Sie d a mit durchkommen!«
    Laut fiel die Tür ins Schloß. Der junge Mann blieb allein zurück und klebte weiter Briefmarken auf die U m schläge.
    Delfosse würde um diese Zeit auf der Terrasse des ›Pélican‹ oder in irgendeinem Kino sitzen. Nach der Wanduhr war es fünf. Jean schaute zu, wie der Zeiger sechzigmal um eine Minute vorrückte, stand dann auf, nahm seinen Hut und schloß seine Schublade ab.
    Der Mann mit den breiten Schultern stand nicht draußen. Es wurde kühl. Mit der Dämmerung breiteten sich in den Straßen bläuliche Nebelschwaden aus, durch die die Lichter in den Schaufenstern hinter den Sche i ben der Straßenbahnen schimmerten.
    »Holen Sie sich die ›Gazette de Liège‹!«
    Delfosse war nicht im ›Pélican‹. Chabot suchte ihn in den anderen Bars der Stadtmitte, in denen sie sich g e wöhnlich trafen. Seine Beine waren so schwer, sein Kopf so leer, daß er beschloß, sich zu Hause hinzulegen.
    Als er nach Hause kam, hatte er gleich das Gefühl, daß irgend etwas ungewöhnlich war. Die Küchentür stand offen. Mademoiselle Pauline, eine polnische St u dentin, die ein möbliertes Zimmer im Haus bewohnte, stand über jemanden gebeugt, den der junge Mann nicht sofort sah.
    Das Schweigen, das bei seinem Eintritt herrschte, wurde plötzlich von einem Aufschluchzen unterbrochen. Mademoiselle Pauline wandte ihm ihr anmutsloses G e sicht mit einem vorwurfsvollen Ausdruck zu.
    »Sehen Sie sich Ihre Mutter an, Jean!«
    Madame Chabot, in Schürze und die Ellbogen auf dem Tisch, weinte herzzerreißend.
    »Was ist denn?«
    Und darauf die Polin:
    »Das sollten Sie am besten wissen … «
    Madame Chabot wischte sich die geröteten Augen, sah ihren Sohn an und brach in noch lauteres Schluc h zen aus.
    »Er bringt mich noch ins Grab! … Es ist entsetzlich! … «
    »Was habe ich denn getan, Mutter?«
    Jean sprach mit tonloser, flacher Stimme. Er hatte solche Angst, daß sie ihn beinah lähmte.
    »Lassen Sie uns jetzt allein, Mademoiselle Pauline … Sie waren sehr liebenswürdig … Ach, daß wir das erl e ben müssen, die stets lieber arm, aber dafür ehrlich g e wesen sind!«
    »Ich kapiere überhaupt nichts … «
    Die Studentin zog sich diskret zurück. Man hörte sie die Treppe hinaufgehen. Sie ließ jedoch mit Bedacht die Tür ihres Zimmers offen.
    »Was hast du angestellt? … Sag’s ohne Umschweife! Gleich kommt dein Vater nach Hause … Wenn ich mir vorstelle, daß es bald im ganzen Viertel herum ist … «
    »Ich schwöre dir, daß ich kein Wort verstehe.«
    »Du lügst! Du weißt genau, daß du lügst, seit du dich ständig mit

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