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Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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die Wahrheit, in ein so unbarmherziges Licht g e rückt und ohne Berücksichtigung der Umstände, war schon fast keine Wahrheit mehr.
    Chabot hatte angefangen, sich mit Freunden im ›Pél i can‹ auf ein Glas Bier zu treffen. Er gewöhnte es sich an, weil man sich dort eben traf und das Gefühl enger Z u sammengehörigkeit genoß.
    Der eine spendierte seine Runde, die nächste ein a n derer … Runden, die sich auf sechs bis zehn Franc beli e fen. Es war eine so behagliche Zeit des Tages! Nach der Arbeit im Büro, nach der Nörgelei des Kanzleichefs, da zu sitzen, im vornehmsten Café der Stadt, die Leute zu beobachten, die auf der Rue du Pontd’Avroy vorbeigi n gen, sich die Hände zu schütteln und hübsche Frauen zu sehen, welche sich manchmal sogar an den gleichen Tisch setzten.
    Stand ihnen nicht ganz Lüttich offen?
    Delfosse zahlte mehr Runden als die andern, weil er mehr Geld zur Verfügung hatte.
    »Gehen wir heute abend ins ›Gai-Moulin‹ … Da ist eine phantastische Tänzerin. «
    Das war noch berauschender. Die granatroten Bänke. Das Parfüm in der schweren, heißen Luft, dazu die M u sik, die Vertraulichkeit Victors und vor allem die Ve r traulichkeit der Mädchen mit ihren entblößten Schu l tern, die ihre Kleider hochhoben, um ihre Strümpfe straffer anzuziehen.
    So wurde es allmählich zu einem Bedürfnis. Einmal, ein einziges Mal, hatte Jean, weil er nicht immer die a n dern bezahlen lassen wollte, Geld entwendet, nicht zu Hause, sondern aus der kleinen Kasse. Er schrieb für e i ne Anzahl Einschreibesendungen höhere Postgebühren auf … Kaum zwanzig Franc!
    »Ich habe nie meinen Vater bestohlen. «
    »Ja, bei ihm gibt’s wohl auch nicht viel zu stehlen! … Zurück zum gestrigen Abend … Ihr seid beide im ›Gai-Moulin‹ … Und beide abgebrannt … Trotzdem habt ihr einer der Tänzerinnen zu trinken spendiert … Geben Sie mir mal Ihre Zigaretten … «
    Der junge Mann reichte ihm mit verständnislosem Blick das Päckchen.
    »Luxor mit Korkmundstück … Ist’s diese Marke, Dubois?«
    »Genau die ist’s.«
    »Gut! Im Lokal ist ein Gast, der reich zu sein scheint, der Champagner trinkt, dessen Brieftasche wohlgefüllt sein dürfte … Entgegen eurer Gewohnheit verlaßt ihr das Lokal durch die Hintertür … Und heute hat man auf der Kellertreppe, nicht weit von dieser Tür, zwei Zigarette n stummel und Fußspuren entdeckt, die darauf schließen lassen, daß ihr, statt tatsächlich wegzugehen, euch dort versteckt habt … Der Fremde ist umgebracht worden … Im ›Gai-Moulin‹ oder anderswo … Man hat ihm seine Brieftasche gestohlen … Ebenso übrigens sein goldenes Zigarettenetui … Heute habt ihr eure Schu l den bezahlt! Und heute abend, vermeintlich in die Enge getrieben, ve r suchen Sie, Geldscheine im Klo verschwinden zu la s sen. «
    Das alles trug der Kommissar so gleichgültig vor, als könnte er die Angelegenheit nicht recht ernst nehmen.
    Chabot hielt den Blick starr auf den schmutzigen B o den geheftet. Er biß die Zähne so fest zusammen, daß man sie selbst mit einer Messerklinge nicht hätte ause i nanderbekommen können.
    »Wo habt ihr Graphopulos angegriffen? … Im Lokal drin? … Beim Ausgang? … «
    »Das stimmt nicht!« keuchte Jean. »Ich schwöre I h nen, beim Heil meines Vaters … «
    »Ach, was! Lassen Sie Ihren Vater aus dem Spiel! Der wird ohnehin nichts zu lachen haben … «
    Diese Worte lösten ein krampfartiges Zittern aus. Jean blickte entsetzt um sich. Jetzt erst erfaßte er seine Lage. Ihm wurde klar, daß in ein bis zwei Stunden seine Eltern Bescheid wußten.
    »Das ist nicht möglich! Das ist nicht wahr! Ich will nicht!« schrie er.
    »Immer mit der Ruhe, junger Mann!«
    »Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht! … «
    Und er warf sich auf einen Inspektor, der zwischen ihm und der Tür stand. Der Kampf war kurz. Der Bu r sche wußte nicht einmal, was er wollte. Er war außer sich. Er schrie. Er schluchzte. Und schließlich wand er sich stöhnend am Boden und rang die Hände.
    Die andern sahen rauchend zu, wechselten vielsage n de Blicke.
    »Ein Glas Wasser, Dubois! Hat jemand Tabak für mich?«
    Der Inhalt des Wasserglases klatschte ins Gesicht Chabots, dessen Nervenkrise zu einem Weinkrampf a b klang. Seine Finger krallten sich in seine Kehle.
    »Ich will nicht! Ich will nicht!«
    Der Kommissar zuckte die Achseln und brummte:
    »Immer dasselbe mit diesen Früchtchen! Und dann muß man sich auch noch um Vater und Mutter kü m mern! …

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