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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gekannt. Eine bezaubernde Frau, aber mit einem Spatzenhirn. Ein bißchen überkandidelt. Wenn man sich nicht ständig um sie kümmerte, bekam sie einen Weinkrampf oder machte eine Szene …
    Wissen Sie eigentlich, wie alt der Colonel ist? Achtundsechzig Jahre. Sie wurde ihm zuviel, verstehen Sie? Sie ließ ihm zwar seine kleinen Abenteuer durchgehen – denn die hat er noch! –, aber sie war doch ein bißchen lästig.
    Sie hat sich in mich verknallt. Ich mochte sie wirklich gern …«
    »Ich nehme an, daß Madame Negretti die Geliebte von Sir Walter ist?«
    »Ja!« räumte der junge Mann ein und verzog das Gesicht. »Das ist nicht so leicht zu erklären … Wissen Sie, er kann einfach nicht allein leben, und trinken auch nicht. Er braucht Leute um sich. Wir haben sie kennengelernt, als wir in Bandol lagen. Am nächsten Morgen ging sie nicht mehr weg. Und das ist bei ihm genug! Sie wird solange hier bleiben, wie es ihr Spaß macht.
    Bei mir ist das etwas anderes. Ich bin einer der wenigen, die genausoviel Whisky vertragen können wie der Colonel. Von Wladimir vielleicht einmal abgesehen, den Sie schon kennengelernt haben und der uns in neun von zehn Fällen in unsere Kojen bringt.
    Ich weiß nicht, ob Sie sich meine Situation richtig vorstellen. Gewiß, ich brauche mir um das Finanzielle keine Sorgen zu machen. Obwohl wir manchmal auch vierzehn Tage lang in irgendeinem Hafen gelegen und auf einen Scheck aus London gewartet haben, um Benzin kaufen zu können! Die Perlenkette zum Beispiel, von der ich Ihnen eben erzählt habe, ist schon zwanzigmal ins Pfandhaus gewandert.
    Was soll’s! An Whisky fehlt es selten.
    Es ist kein prunkvolles Leben. Aber man schläft bis in die Puppen. Man geht. Man kommt wieder. Ich für meinen Teil finde das immer noch besser als die Feigen meines Vaters …
    Ganz zu Anfang hatte der Colonel seiner Frau etwas Schmuck geschenkt. Ab und zu verlangte sie Geld von ihm. Um sich etwas zum Anziehen zu kaufen und ein bißchen Geld in der Tasche zu haben, verstehen Sie?
    Ich schwöre Ihnen, daß es trotz allem, was Sie vielleicht denken, gestern ein schwerer Schlag für mich war, als ich erfuhr, daß sie das war, auf diesem gräßlichen Foto … Für den Colonel übrigens auch! Aber er würde sich eher in kleine Stücke reißen lassen, als sich etwas anmerken lassen. Das liegt nun einmal in seiner Natur. Sehr british ! Als wir vorige Woche aus Paris wegfuhren – heute ist doch Dienstag, oder? –, war die Kasse ziemlich leer. Der Colonel telegrafierte nach London, um einen Vorschuß auf seine Pension zu erbitten. Wir warteten in Epernay. Die Überweisung ist vielleicht inzwischen schon angekommen.
    Aber ich hatte in Paris noch ein paar Schulden. Zwei- oder dreimal hatte ich Mary schon gefragt, warum sie nicht ihre Kette verkaufe. Sie hätte ihrem Mann sagen können, daß sie sie verloren habe oder daß sie ihr gestohlen worden sei.
    Am Donnerstagabend gab es dann die kleine Feier, von der Sie wissen. Machen Sie sich vor allem keine falschen Vorstellungen davon. Sobald Lampson ein paar hübsche Mädchen sieht, muß er sie sofort an Bord schleppen. Wenn er dann zwei Stunden später abgefüllt ist, überläßt er es mir, sie mit möglichst wenig Unkosten wieder an die Luft zu setzen.
    Donnerstag war Mary viel früher aufgestanden als sonst, und als wir aus unseren Kojen kamen, war sie schon draußen. Nach dem Mittagessen waren wir einen Augenblick allein, sie und ich. Sie war sehr zärtlich. Von einer besonderen, eigenartig traurigen Zärtlichkeit … Und dann drückte sie mir plötzlich ihre Perlenkette in die Hand und sagte:
    ›Du brauchst sie nur zu verkaufen.‹
    Wenn Sie mir das nicht glauben, ist es mir auch egal. Aber ich war wirklich ein wenig beschämt und ein bißchen verwirrt. Wenn Sie sie gekannt hätten, würden Sie das verstehen. So lästig sie manchmal sein konnte, so rührend war sie bei anderen Gelegenheiten …
    Sie war vierzig, wissen Sie. Sie kämpfte dagegen an. Aber sie mußte genau gespürt haben, daß es zu Ende ging.
    Irgendwer kam herein. Ich steckte die Kette in die Tasche. Am Abend schleppte der Colonel uns zu einem Tanzlokal mit, und Mary blieb allein an Bord. Als wir zurückkamen, war sie nicht da. Lampson machte sich keine Sorgen, denn es war nicht das erste Mal, daß sie einfach wegblieb.
    Und das waren durchaus nicht die Art von Eskapaden, an die Sie vielleicht denken! Einmal hatten wir zum Beispiel, während des Festes von Porquerolles, im ›Petit Langoustier‹

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