Maigret und der Treidler der Providence
nur beiläufig mit dem Finger an die Krempe und murmelte:
»Tag, Herr Kommissar … Gut geschlafen? Könnte ich Sie mal kurz sprechen?«
»Ich höre.«
»Nicht hier, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Könnten wir nicht lieber auf Ihr Zimmer gehen?«
Er hatte nichts von seiner Unbefangenheit verloren. Seine kleinen Augen funkelten und sahen beinahe fröhlich oder gar bösartig aus.
»Rauchen Sie?«
»Danke, nein.«
»Richtig, Sie rauchen ja Pfeife.«
Maigret beschloß, ihn in sein Zimmer zu führen, das noch nicht gemacht war. Willy sah nur kurz zur Yacht hinüber, setzte sich dann gleich auf den Bettrand und begann:
»Sie haben natürlich schon Erkundigungen über mich eingezogen …«
Er suchte nach einem Aschenbecher, fand keinen und ließ die Asche auf den Boden fallen.
»Nicht berühmt, wie? Ich habe allerdings noch nie versucht, als kleiner Heiliger zu gelten. Und vom Colonel bekomme ich auch dreimal am Tag zu hören, ich sei eine Kanaille …«
Am verblüffendsten war die Offenheit, die aus seinem Gesicht sprach. Maigret gestand sich sogar ein, daß er seinen Gesprächspartner, der ihm anfangs unsympathisch gewesen war, erträglich zu finden begann.
Eine seltsame Mischung. Aalglatt und gerissen. Zugleich aber ein Funken Anstand, der den Rest entschuldigen ließ, und eine etwas schalkhafte Art, die entwaffnete.
»Sie müssen wissen, daß ich in Eton studiert habe, wie der Prince of Wales. Wenn wir gleich alt gewesen wären, dann wären wir jetzt vielleicht die dicksten Freunde der Welt. Nur – mein Vater ist Feigenhändler in Smyrna. Und davor habe ich einen Horror! Es hat ein paar unschöne Geschichten gegeben. Die Mutter eines meiner Kameraden in Eton hat mir, um es mal so zu sagen, im rechten Augenblick aus dem Schlamassel geholfen. Solange ich Ihnen den Namen nicht verrate, nicht wahr? Eine hinreißende Frau. Aber ihr Mann wurde Minister, und sie bekam Angst, ihn zu kompromittieren.
Und danach … Von der Sache mit Monaco hat man Ihnen sicher schon berichtet, und von der Geschichte in Nizza auch. Die Wahrheit ist vielleicht nicht ganz so schlimm. Ein guter Rat: Glauben Sie nie einer Amerikanerin in reiferem Alter, die sich an der Riviera eine schöne Zeit macht und deren Mann plötzlich unangemeldet aus Chicago herüberkommt. Gestohlene Juwelen müssen nicht immer gestohlen sein … Aber lassen wir das!
Kommen wir zu der Perlenkette. Entweder wissen Sie schon alles, oder Sie wissen es noch nicht. Ich hatte Ihnen gestern davon erzählen wollen, aber angesichts der Situation wäre das vielleicht nicht besonders taktvoll gewesen.
Der Colonel ist trotz allem ein Gentleman. Er liebt den Whisky ein bißchen zu sehr, zugegeben. Aber das hat seine Gründe. Er hätte General werden sollen und galt als einer der kommenden Männer in Delhi. Aber dann wurde er wegen einer Frauengeschichte – es handelte sich um die Tochter einer hohen Persönlichkeit des Landes – in Pension geschickt …
Sie haben ihn ja gesehen. Ein großartiger Mann mit gewaltigem Appetit auf alles. Da unten hatte er dreißig Boys, Ordonnanzen, Sekretäre und ich weiß nicht wie viele Autos und Pferde zur Verfügung. Und dann plötzlich nichts mehr: so um die hunderttausend Francs im Jahr.
Habe ich Ihnen gesagt, daß er schon zweimal verheiratet gewesen war, bevor er Mary kennenlernte? Seine erste Frau starb in Indien. Von seiner zweiten Frau hat er sich scheiden lassen und alle Schuld auf sich genommen, nachdem er sie mit einem Boy erwischt hatte.
Ein wirklicher Gentleman!«
Und Willy, der sich zurückgelehnt hatte, ließ ein Bein in trägem Rhythmus baumeln, während Maigret, die Pfeife zwischen den Zähnen, unbeweglich mit dem Rücken zur Wand stehen blieb.
»Voilà! Und jetzt schlägt er die Zeit tot, so gut er kann. In Porquerolles wohnt er in seinem alten Fort, das ›Petit Langoustier‹ genannt wird. Wenn er genug zusammengespart hat, fährt er nach Paris oder London. Aber wenn Sie sich vorstellen, daß er in Indien jede Woche Dîners für dreißig oder vierzig Personen zu geben gewohnt war …«
»Wollten Sie mir vom Colonel erzählen?« murmelte Maigret. Willy verzog keine Miene.
»Ehrlich gesagt, ich versuche nur, Ihnen den Hintergrund zu schildern. Da Sie nie in Indien gelebt haben oder in London und auch keine dreißig Boys und wer weiß wie viele hübsche Mädchen zur Verfügung hatten …
Es geht mir nicht darum, Sie zu ärgern. Kurzum, ich habe ihn vor zwei Jahren kennengelernt …
Sie haben Mary nicht lebend
Weitere Kostenlose Bücher