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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nur, wie er ißt. Aber er ist zugleich der beste Treidler weit und breit!«
    Die Gabel des Alten bewegte sich nicht mehr. Er sah Maigret mit Augen an, deren Klarheit unheimlich war.
    Manche Dorftrottel haben einen solchen Blick, und auch manche Tiere, die eine gute Behandlung gewöhnt sind und plötzlich brutal mißhandelt werden.
    Ein bißchen Stumpfsinn lag darin. Aber auch etwas anderes, Unerklärliches, wie eine Flucht vor der Außenwelt.
    »Um wieviel Uhr sind Sie aufgestanden, um Ihre Pferde zu versorgen?«
    »Wie immer.«
    Er hatte gewaltige Schultern, deren Breite um so mehr erstaunte, als seine Beine recht kurz geraten waren.
    »Jean steht jeden Morgen um halb drei auf!« schaltete sich die Schiffersfrau ein. »Sie sollten sich unsere Tiere einmal anschauen. Sie werden jeden Tag gestriegelt wie Luxuspferde. Und abends würden Sie ihn nicht dazu bringen können, auch nur ein Glas Weißen zu trinken, ehe er sie abgerieben hat.«
    »Schlafen Sie im gleichen Verschlag wie die Pferde?«
    Jean machte nicht den Eindruck, als hätte er verstanden. Es war wieder die Frau, die auf eine der höheren Aufbauten in der Mitte des Kahns zeigte.
    »Das ist der Stall«, sagte sie. »Er schläft immer dort. Wir haben unsere Kajüte achtern … Wollen Sie sie sehen?«
    An Deck herrschte peinlichste Sauberkeit. Die Messingteile waren besser poliert als an Bord der ›Southern Cross‹. Und als die Frau eine Doppeltür aus Pitchpine öffnete, über der sich eine Luke mit farbigen Glasscheiben befand, erblickte Maigret einen kleinen, rührend eingerichteten Salon.
    Darin standen die gleichen nachgemachten Stilmöbel aus Eiche wie in den traditionellsten guten Stuben der Kleinbürger. Der Tisch war mit einer Decke geschmückt, die mit verschiedenfarbiger Seide bestickt war und auf der sich Vasen, gerahmte Fotografien und ein Blumenständer befanden, der von Grünpflanzen überquoll.
    Auch auf dem Büffet gab es Spitzendeckchen. Auf den Sesseln lagen bestickte Schondecken.
    »Wenn Jean gewollt hätte, hätten wir ihm ein Bett in unserer Nähe eingerichtet. Aber er behauptet, er könne nur im Stall schlafen. Obwohl wir immer Angst haben, daß er eines Nachts einen Huftritt abbekommt. Was nützt das schon, daß die Tiere ihn kennen? Denn wenn sie schlafen …«
    Sie hatte zu essen begonnen wie eine brave Hausfrau, die für die anderen leckere Gerichte zubereitet und sich selbst die schlechtesten Stücke aussucht, ohne sich etwas dabei zu denken.
    Jean hatte sich erhoben und blickte abwechselnd auf seine Pferde und auf den Kommissar, während sein Chef sich eine Zigarette drehte.
    »Und Sie haben nichts gesehen, nichts gehört?« fragte Maigret und sah den Treidler streng an.
    Jean drehte sich zu der Schiffersfrau um, die mit vollem Mund antwortete:
    »Sie können sich doch denken, daß er es uns gesagt hätte, wenn ihm etwas aufgefallen wäre.«
    »Die ›Marie‹ kommt!« rief ihr Mann ungeduldig.
    Seit einigen Augenblicken spürte man das Vibrieren eines Motors in der Luft. Und jetzt konnte man hinter der ›Providence‹ die Umrisse eines Schleppkahns erkennen.
    Jean sah zu der Frau hin, die Maigret zögernd ansah.
    »Hören Sie«, sagte sie schließlich, »wenn Sie mit Jean sprechen müssen, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie das unterwegs machten? Die Marie ist langsamer als wir, trotz ihres Motors. Wenn sie uns vor der Schleuse überholt, versperrt sie uns zwei Tage lang den Weg.«
    Jean hatte die letzten Sätze nicht abgewartet. Er hatte seinen Pferden den Hafersack abgenommen und führte sie hundert Meter vor dem Schleppkahn her.
    Der Schiffer ergriff eine Trompete aus Weißblech und entlockte ihr zittrige Töne.
    »Bleiben Sie an Bord? Wir erzählen Ihnen alles, was wir wissen, verstehen Sie? Hier auf den Kanälen kennt uns jeder, von Lüttich bis Lyon.«
    »Ich treffe Sie an der Schleuse wieder«, sagte Maigret, dessen Fahrrad am Ufer geblieben war.
    Der Steg wurde eingezogen. Eine Silhouette erschien auf den Toren der Schleuse, und die Schieber wurden geöffnet. Die Pferde setzten sich in Bewegung, ihre Schellen klingelten, und die roten Pompons auf ihren Köpfen schwankten hin und her.
    Jean ging langsam und stoisch neben ihnen her.
    Und der Motorschlepper, zweihundert Meter hinter ihnen, verlangsamte seine Fahrt, als er merkte, daß er zu spät kam.
    Maigret hielt den Lenker seines Fahrrades mit einer Hand und folgte ihnen. Er konnte sehen, wie die Frau hastig zu Ende aß, während ihr Mann sich mit seinem kleinen,

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