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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Schlepper pfeifen. Automatisch zählte Maigret die Pfiffe und brummte vor sich hin:
    »Fünf …«
    Das war das Leben am Kanal. Fünf Schleppkähne glitten näher. Der Schleusenwärter kam in Holzpantinen aus seinem Haus und ging zu den Schiebern.
    Lucas kam mit rotem Gesicht vom Telefon zurück.
    »Weia! Das war hart …«
    »Was gibt es denn?«
    »Der Colonel hat mir den Mädchennamen seiner Frau mit Marie Dupin angegeben. Zur Trauung hatte sie eine Geburtsurkunde auf diesen Namen vorgelegt, die in Moulins ausgestellt worden war. Ich habe eben ein Ferngespräch mit Dienstvorrang angemeldet und in Moulins angerufen.«
    »Und?«
    »Im Personenstandsregister ist nur eine einzige Marie Dupin verzeichnet. Sie ist zweiundvierzig, hat drei Kinder und ist mit einem gewissen Piedbœuf verheiratet, einem Bäcker in der Rue Haute. Der Gemeindebeamte, mit dem ich gesprochen habe, hat sie noch gestern hinter ihrer Ladentheke gesehen, und seiner Schilderung nach wiegt sie so um die hundertachtzig Pfund …«
    Maigret sagte nichts. Wie ein Rentner, der nichts zu tun hat, schlenderte er zur Schleuse, ohne sich um seinen Begleiter zu kümmern, und sah dem Schleusenwärter bei der Arbeit zu; dabei stieß er in kurzen Abständen immer wieder wütend mit dem Daumen den Tabak seiner Pfeife nieder.
    Etwas später kam Wladimir auf den Schleusenwärter zu, grüßte, indem er die Hand an die weiße Mütze legte, und fragte ihn, wo er den Trinkwasserbehälter nachfüllen könne.

5
    Das Abzeichen des Y.C.F.
    Maigret war früh zu Bett gegangen, während Inspektor Lucas, dem er Anweisungen gegeben hatte, nach Meaux, Paris und Moulins fuhr.
    Als er den Schankraum verlassen hatte, hatten dort nur drei Gäste gesessen, zwei Schiffer und die Frau des einen, die nachgekommen war und in einer Ecke strickte.
    Die Atmosphäre war trostlos und bedrückend. Draußen hatte ein Kahn weniger als zwei Meter von der ›Southern Cross‹ entfernt festgemacht, deren Bullaugen sämtlich hell erleuchtet waren.
    Plötzlich wurde der Kommissar aus einem so wirren Traum gerissen, daß er sich nicht mehr an ihn erinnerte, als er die Augen aufschlug. Jemand hämmerte aufgeregt an seine Tür, während eine verzweifelte Stimme schrie:
    »Herr Kommissar! Herr Kommissar! Schnell!«
    Er lief im Pyjama zur Tür und sah, wie die Tochter des Wirts mit unerwarteter Heftigkeit auf ihn zustürzte und sich buchstäblich in seine Arme warf.
    »Da! Machen Sie schnell … Nein! Bleiben Sie … Ich habe Angst, allein zu bleiben … Ich will nicht … Ich habe Angst …«
    Er hatte ihr nie besondere Beachtung geschenkt. Er hatte sie für ein robustes Mädchen gehalten, gut beieinander, ohne Nerven.
    Und nun klammerte sie sich an ihn, mit verstörtem Gesicht und am ganzen Körper zitternd, mit einer solchen Heftigkeit, daß es peinlich war. Während er sich aus ihrer Umklammerung zu lösen versuchte, näherte er sich dem Fenster und öffnete es.
    Es mußte etwa sechs Uhr morgens sein. Der Tag war kaum angebrochen, kalt wie ein Wintermorgen.
    Hundert Meter von der ›Southern Cross‹, in Richtung auf die Steinbrücke und die Straße nach Epernay zu, versuchten vier oder fünf Männer mit einem langen Bootshaken etwas, das im Wasser trieb, zu sich heranzuziehen, während ein Schiffer sein kleines Boot losmachte und mit einem Ruder zu wriggen begann.
    Maigret hatte einen ganz zerknitterten Pyjama an. Er warf sich einen Mantel über die Schultern und suchte seine Stiefel, die er über seine nackten Füße zog.
    »Sehen Sie … Das ist ›er‹! Jetzt haben sie ihn …«
    Mit einer brüsken Bewegung befreite er sich aus der Umarmung des seltsamen Mädchens, lief die Treppe hinunter und erschien draußen in dem Moment, als eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm auf die Gruppe zuging.
    Er war nicht dabeigewesen, als man die Leiche von Mary Lampson entdeckt hatte. Aber diese neue Entdeckung war vielleicht noch unheimlicher, denn wegen der Wiederholung des Verbrechens schwebte eine beinahe übernatürliche Beklemmung über diesem Abschnitt des Kanals.
    Die Männer riefen einander etwas zu. Der Wirt des Café de la Marine, der als erster eine menschliche Gestalt auf dem Wasser hatte treiben sehen, dirigierte ihre Bemühungen.
    Zweimal hatte die Stange die Leiche erreicht. Aber der Haken war abgeglitten. Die Leiche war einige Zentimeter abgesunken, ehe sie wieder an die Oberfläche emporstieg.
    Maigret hatte bereits Willys dunklen Anzug erkannt. Man konnte das Gesicht nicht sehen, denn der

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