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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Kopf, der schwerer war, blieb unter Wasser.
    Der Schiffer mit dem kleinen Boot stieß plötzlich dagegen, faßte den Toten an der Brust und hob ihn mit einer Hand hoch. Aber er mußte die Leiche noch an Bord hieven.
    Das schien dem Mann nichts auszumachen. Er zog erst ein Bein und dann das andere über den Bordrand, warf sein Haltetau zum Ufer hinüber und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    Für einen Augenblick sah Maigret das verschlafene Gesicht Wladimirs aus der Luke auftauchen. Der Russe rieb sich die Augen. Dann verschwand er.
    »Nichts anfassen …«
    Ein Schiffer hinter ihm protestierte und murmelte etwas davon, daß sein Schwager im Elsaß wieder zum Leben erweckt worden sei, nachdem er fast drei Stunden lang im Wasser gelegen habe.
    Der Wirt des Cafés machte ihn auf den Hals der Leiche aufmerksam. Es war nicht zu übersehen: Zwei Fingerspuren, ganz schwarz, genau wie am Hals von Mary Lampson.
    Diese Tragödie war die beeindruckendste. Willy hatte die Augen weit aufgerissen, sogar noch viel weiter als gewöhnlich. Seine rechte Hand war um ein Bündel Schilf gekrallt.
    Maigret hatte das merkwürdige Gefühl, daß plötzlich jemand hinter ihm stand, drehte sich um und erblickte den Colonel, der ebenfalls im Pyjama war, über den er einen seidenen Morgenmantel geworfen hatte. An den Füßen hatte er Pantoffeln aus blauem Ziegenleder.
    Seine silbergrauen Haare waren zerzaust, sein Gesicht ein wenig aufgedunsen. Und es war ein seltsamer Anblick, ihn in diesem Aufzug mitten unter den Schiffern in ihren Holzschuhen und ihrer Kleidung aus grobem Leinen zu sehen, im Schlamm und in der Feuchtigkeit des anbrechenden Tages.
    Er war der größte und breitschultrigste von allen. Ein Hauch von Eau de Cologne ging von ihm aus.
    »Das ist Willy!« brachte er mit rauher Stimme hervor.
    Dann sagte er einige Worte auf englisch, zu schnell, als daß Maigret sie hätte verstehen können, bückte sich und berührte das Gesicht des jungen Mannes.
    Das Mädchen, das den Kommissar geweckt hatte, lehnte an der Tür des Cafés und schluchzte. Der Schleusenwärter eilte herbei.
    »Rufen Sie die Polizei in Epernay an … einen Arzt …«
    Selbst die Negretti kam zum Vorschein, barfuß und schlampig gekleidet, wagte aber nicht, die Brücke der Yacht zu verlassen, und rief den Colonel:
    »Walter! Walter!«
    Etwas weiter zurück standen Leute, die niemand hatte kommen sehen: der Lokführer des kleinen Zuges, Straßenarbeiter, ein Bauer, dessen Kuh ganz allein den Leinpfad entlangtrottete.
    »Bringt ihn ins Café. Aber so wenig wie möglich anfassen!«
    Er war tot; das stand außer Zweifel. Der elegante Anzug, der jetzt nur noch ein Lumpen war, schleifte über die Erde, während man die Leiche forttrug.
    Der Colonel folgte mit langsamen Schritten. Sein Morgenmantel, seine blauen Pantoffeln und sein geröteter Schädel, auf dem der Wind ein paar lange Haare zauste, ließen ihn lächerlich und würdevoll zugleich erscheinen.
    Das Mädchen schluchzte noch einmal so laut, als die Leiche an ihr vorbeigetragen wurde, lief in die Küche und schloß sich darin ein. Der Wirt brüllte in den Telefonhörer:
    »Aber nein, Mademoiselle! Die Polizei! Schnell! Es geht um einen Mord … Bleiben Sie in der Leitung … Hallo! Hallo!«
    Maigret hinderte den größten Teil der Schaulustigen daran, einzutreten. Aber die Schiffer, die die Leiche entdeckt und aus dem Wasser zu fischen geholfen hatten, waren alle in der Gaststube, in der auf den Tischen noch die Gläser und die leeren Weinflaschen vom Vorabend standen. Der Ofen bullerte. Ein Besen lag mitten im Weg.
    Hinter einem Fenster erkannte der Kommissar die Gestalt Wladimirs, der die Zeit gefunden hatte, seine amerikanische Matrosenmütze aufzusetzen. Die Schiffer redeten auf ihn ein, aber er gab keine Antwort.
    Der Colonel starrte noch immer auf die Leiche, die auf den rötlichen Fußbodenbrettern ausgestreckt lag, und man hätte nicht sagen können, ob er erschüttert, gelangweilt oder verängstigt war.
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?« fragte Maigret und ging auf ihn zu.
    Sir Walter seufzte und schien neben sich denjenigen zu suchen, den er üblicherweise damit betraute, an seiner Stelle zu antworten.
    »Das ist sehr schrecklich«, brachte er schließlich hervor.
    »Hat er nicht an Bord geschlafen?«
    Mit einer Handbewegung wies der Engländer auf die Schiffer, die ihnen zuhörten, als wollte er mit dieser Geste an die Regeln der Schicklichkeit gemahnen. Sie

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