Maigret und der Treidler der Providence
sich einige Gruppen gebildet. Als der Kommissar vorbeiging und den Weg zur Steinbrücke einschlug, kam ein alter Steuermann mit einer picklig geschwollenen Nase auf ihn zu.
»Soll ich Ihnen die Stelle zeigen, an der der junge Mann ins Wasser geworfen wurde?«
Und er sah stolz zu seinen Kollegen hinüber, die ihm zögernd zu folgen begannen.
Er hatte recht. Fünfzig Meter von der Steinbrücke entfernt war das Schilf auf einem mehrere Meter langen Streifen niedergedrückt. Dort war nicht nur jemand hindurchgegangen, sondern ein schwerer Körper mußte über den Boden geschleift worden sein, denn die Spur war breit und das Schilfrohr plattgewalzt.
»Sehen Sie? Ich wohne fünfhundert Meter weiter, in einem der ersten Häuser von Dizy. Ich war heute morgen hergekommen, um zu sehen, ob ein Schiff die Marne herunterkommt und mich brauchen könnte, und da fiel mir das hier auf. Um so mehr, als ich dieses Dingsda auf dem Weg gefunden habe.«
Der Mann wirkte aufdringlich mit seinen boshaften Grimassen und den ständigen Seitenblicken zu seinen Kameraden hin, die in einiger Entfernung folgten.
Aber der Gegenstand, den er aus der Tasche zog, war von höchstem Interesse: ein emailliertes, kunstvoll gearbeitetes Abzeichen, das außer einem Wurfanker die Buchstaben Y.C.F. aufwies.
»Yacht Club de France!« übersetzte der Steuermann. »Das tragen sie alle im Knopfloch.«
Maigret drehte sich zu der Yacht um, die man ungefähr zwei Kilometer weiter liegen sah, und erkannte unter dem Namen ›Southern Cross‹ die gleichen Buchstaben: Y.C.F.
Ohne sich weiter um seinen Begleiter zu kümmern, der ihm das Abzeichen übergeben hatte, marschierte er langsam bis zur Brücke. Rechts erstreckte sich die Straße nach Epernay, schnurgerade und noch glänzend von den Regenschauern der letzten Nacht. Autos jagten vorbei.
Zur Linken machte der Weg einen Bogen durch das Dorf Dizy. Dahinter, auf dem Kanal, lagen einige Schleppkähne vor der Werft der Compagnie Générale de Navigation zur Reparatur.
Maigret kehrte um, ein wenig nervös, weil die Staatsanwaltschaft gleich eintreffen mußte und es dann eine oder zwei Stunden lang das übliche Durcheinander geben würde, die Fragen, das Hin und Her, die haarsträubendsten Hypothesen.
Als er auf gleicher Höhe mit der Yacht war, war dort noch alles verschlossen. Ein Polizist in Uniform ging in einiger Entfernung auf und ab und forderte die Neugierigen zum Weitergehen auf, konnte aber nicht verhindern, daß zwei Journalisten aus Epernay Fotos machten.
Das Wetter war weder schön noch schlecht. Ein helles Grau in Grau, eintönig wie ein Dach aus Milchglas.
Maigret ging über den Steg und klopfte an die Tür.
»Wer ist da?« hörte man die Stimme des Colonels fragen.
Er hatte keine Lust, erst zu verhandeln, und ging gleich hinein. Drinnen sah er die Negretti, so schlampig wie immer. Die Haare fielen ihr strähnig ins Gesicht und in den Nacken, während sie sich die Tränen abwischte und schniefte.
Sir Walter saß auf der Bank und streckte Wladimir die Füße entgegen, um sich mahagonifarbene Schuhe anziehen zu lassen.
Irgendwo mußte in einem Kessel Wasser kochen, denn man hörte einen Dampfstrahl.
Die beiden Kojen von Gloria und dem Colonel waren noch nicht gemacht. Auf dem Tisch lagen Spielkarten und eine Karte der Binnenwasserstraßen Frankreichs.
Immer noch dieser gleichzeitig dumpfe und würzige Geruch, der an eine Bar, ein Boudoir und eine Schlafkammer gleichzeitig erinnerte.
Eine Yachtmütze aus weißem Leinen hing am Kleiderständer, neben einer Reitpeitsche mit einem Griff aus Elfenbein.
»War Willy Mitglied im Yacht Club de France?« fragte Maigret mit einer Stimme, die beiläufig klingen sollte.
Das Achselzucken des Colonels gab ihm zu verstehen, daß die Frage lächerlich sei. Sie war es in der Tat, denn der Y.C.F. war einer der exklusivsten Clubs.
»Aber ich!« bemerkte Sir Walter. »Und auch im Royal Yacht Club von England.«
»Würden Sie mir die Jacke zeigen, die Sie gestern abend getragen haben?«
»Wladimir …«
Er hatte jetzt seine Schuhe an. Er erhob sich und ging zu einem Wandschrank, der als Hausbar eingerichtet war. Keine einzige Flasche Whisky war zu sehen, aber es gab genug andere Flaschen, zwischen denen er sich nicht entscheiden konnte.
Schließlich nahm er eine Flasche Cognac heraus und murmelte, ohne Maigret wirklich überreden zu wollen:
»Wollen Sie?«
»Danke.«
Er füllte einen kleinen silbernen Becher, den er aus einem Hängeregal über dem
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