Maigret und der Treidler der Providence
bedeutete:
»Halten Sie es für erforderlich und angebracht, daß diese Leute …«
Maigret schickte sie hinaus.
»Es war gestern abend um zehn. Wir hatten keinen Whisky mehr an Bord. Wladimir hatte in Dizy keinen auftreiben können. Ich wollte nach Epernay gehen.«
»Hat Willy Sie begleitet?«
»Nicht lange. Kurz hinter der Brücke hat er mich verlassen.«
»Warum?«
»Wir hatten einen Wortwechsel …«
Und während der Colonel das sagte und dabei starr auf das bleiche und verzerrte Gesicht des Toten blickte, trübten sich seine Augen.
Vielleicht ließ die Tatsache, daß er zuwenig geschlafen hatte und sein Gesicht aufgedunsen war, ihn bewegt und mitgenommen erscheinen? Maigret hätte jedenfalls geschworen, daß sich hinter seinen dichten Wimpern Tränen verbargen.
»Hatten Sie sich gestritten?«
Der Colonel zuckte die Schultern, als wollte er damit sagen, daß er diese billige und derbe Bezeichnung wohl hinnehmen müsse.
»Hatten Sie ihm Vorwürfe gemacht?«
» No! Ich wollte wissen … Ich sagte mehrmals: ›Willy, Sie sind eine Kanaille. Aber Sie müssen mir sagen …‹«
Er schwieg betroffen und ließ seinen Blick durch den Schankraum wandern, um nicht immer wieder wie hypnotisiert auf den Toten starren zu müssen.
»Sie beschuldigten ihn, Ihre Frau umgebracht zu haben?«
Er zuckte noch einmal die Schultern und seufzte:
»Er ging weg, allein. So etwas kam gelegentlich vor. Aber dann am nächsten Morgen wir tranken immer den ersten Whisky zusammen, und alles war vergessen.«
»Sind Sie zu Fuß nach Epernay gegangen?«
»Yes!«
»Haben Sie getrunken?«
Der Colonel ließ einen mitleidigen Blick auf seinem Gesprächspartner ruhen.
»Ich habe auch gespielt, im Club. Im Bécasse man hatte mir gesagt, es gibt dort einen Club. Ich bin mit ein Auto zurückgekommen.«
»Um wieviel Uhr?«
Er gab durch eine Handbewegung zu verstehen, daß er keine Ahnung habe.
»Willy war nicht in seiner Koje?«
» No. Wladimir hat mir gesagt, während er mich auszog.«
Ein Motorrad mit Beiwagen hielt vor der Tür. Ein Wachtmeister stieg ab, gefolgt von einem Arzt. Die Tür zur Gaststube wurde geöffnet und wieder geschlossen.
»Kriminalpolizei«, stellte Maigret sich seinen Kollegen aus Epernay vor. »Halten Sie bitte die Leute fern und rufen Sie die Staatsanwaltschaft an.«
Der Arzt brauchte nur eine kurze Untersuchung, um zu erklären:
»Er war tot, als er ins Wasser geworfen wurde. Sehen Sie diese Spuren …«
Maigret hatte sie gesehen. Er wußte Bescheid. Automatisch beobachtete er die rechte Hand des Colonels, eine muskulöse Hand mit quadratisch geschnittenen Fingernägeln und hervortretenden Adern.
Es sollte mindestens eine Stunde dauern, bis die Staatsanwaltschaft vollzählig war und an Ort und Stelle eintraf. Polizisten auf Fahrrädern kamen und riegelten das Café de la Marine und die ›Southern Cross‹ ab.
»Kann ich mich anziehen?« hatte der Colonel gefragt.
Und trotz seines Morgenmantels, seiner Pantoffeln und seiner nackten Knöchel war es erstaunlich, mit welcher Würde er die Reihen der Neugierigen durchschritt. Kaum hatte er die Kajüte betreten, als er auch schon den Kopf wieder herausstreckte und rief:
»Wladimir!«
Und alle Luken der Yacht schlossen sich.
Maigret befragte den Schleusenwärter, den ein Motorboot zu seinen Schleusentoren gerufen hatte.
»Ich nehme an, daß es in einem Kanal keine Strömung gibt. Eine Leiche müßte demnach da bleiben, wo sie ins Wasser geworfen wurde.«
»In den großen Kanalabschnitten von zehn oder fünfzehn Kilometern ist das so. Aber dieser Abschnitt hat nicht einmal fünf. Wenn ein Schiff bei Schleuse 13, oberhalb der meinen, hinabgeschleust wird, merke ich einige Minuten später, wie das Wasser ankommt. Wenn ich selbst ein Schiff stromabwärts durchschleuse, sind das viele Kubikmeter Wasser, die ich dem Kanal entziehe und die eine momentane Strömung hervorrufen.«
»Um wieviel Uhr beginnen Sie mit der Arbeit?«
»Eigentlich erst bei Sonnenaufgang. In Wirklichkeit aber viel früher. Die Treidelkähne, die sehr langsam sind, fahren gegen drei Uhr morgens los und schleusen sich meist selbst durch, ohne daß wir sie hören. Wir sagen auch nichts, denn wir kennen sie alle.«
»So daß heute morgen …?«
»Die ›Frédéric‹, die hier über Nacht festgemacht hatte, muß gegen halb vier aufgebrochen sein und sich um fünf Uhr in Ay durchgeschleust haben.«
Maigret machte kehrt. Vor dem Café de la Marine und auf dem Leinpfad hatten
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