Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
geht also zum Vater der Kleinen und hält um ihre Hand an. Er überhäuft seine zukünftige Schwiegerfamilie mit unmöglichen Kleidern, organisiert einen Hochzeitszug zu einer Hütte, die wir vorher ausgekundschaftet hatten.
Der Kamerad, der den Standesbeamten spielte, ist inzwischen gestorben. Aber es gibt sicher noch welche, die bei dem Spaß dabeiwaren. Der Gallet war nämlich ein verfluchter Spaßvogel! Er hatte an alles gedacht, damit die Sache auch wirklich komisch wurde.
Ich sage Ihnen, bei den Ansprachen hätte man sich am Boden wälzen können vor Lachen! Und der Trauschein, der dem jungen Ding feierlich überreicht wurde, war ein Schwindel von A bis Z …
Ein Mordsspaß! Was haben wir gelacht, weil die alles so ernst nahmen – die Familie, die Trauzeugen, der ganze übrige Haufen.«
Der Steuerinspektor hielt inne. Nach einer Pause fuhr er mit ernsterer Stimme fort:
»Ja, so war das. Gallet hat mit ihr drei, vier Monate wie Mann und Frau gelebt, dann ist er nach Frankreich zurückgekehrt. Seine Scheinfrau hat er natürlich zurückgelassen … Wir waren jung, sonst hätten wir das Ganze wahrscheinlich nicht so komisch gefunden. Die Malaien sind ein rachsüchtiges Volk!
Sie kennen diese Leute nicht, Kommissar … Die Kleine hat lange auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet. Ich weiß nicht, was dann mit ihr passiert ist, aber ein paar Jahre später bin ich ihr in einem verrufenen Viertel von Saigon wiederbegegnet. Sie war schrecklich gealtert.
Als ich im Journal de Nevers den Namen Gallet las … Nun, ich hatte ihn seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen und auch nie wieder von ihm gehört.
Aber dieser Messerstich … Nicht wahr, Sie fangen an zu begreifen? … Ein Racheakt natürlich. Diese Malaien würden um die halbe Welt reisen, um sich zu rächen. Und mit dem Dolch sind sie von klein auf vertraut.
Vielleicht war es ein Bruder der Kleinen, oder sogar ein Sohn? Einer, der schon ein bißchen zivilisiert ist? Erst hat er einen Revolver benutzt, weil das praktischer ist, aber dann ist der Urinstinkt hochgekommen …«
Maigret starrte zu Boden, während er mit einem Ohr dem Geschwätz zuhörte. Es war sinnlos, den Mann zu unterbrechen. Zeugen seines Kalibers meldeten sich jeweils zu Hunderten, wenn es um einen Kriminalfall ging. Daß diesmal nur einer in Erscheinung trat, war vermutlich dem Umstand zu verdanken, daß die Zeitungen dem Mord nur ein paar Zeilen gewidmet hatten.
»Kapiert, Kommissar? … Darauf wären Sie nie gekommen, wie? … Ich hielt es für klüger, Sie zu mir zu bitten, denn wenn der Mörder wüßte, daß ich ausgepackt habe …«
»Gallet spielte Fußball, sagten Sie?«
»Und wie! Überhaupt war er eine kreuzfidele Nummer! Der lustigste Kamerad, den man sich denken kann. Er konnte einen Abend lang Witze erzählen, so daß man aus dem Lachen nicht mehr herauskam.«
»Weshalb hat er Indochina verlassen?«
»Er erklärte, er hätte eine Idee, wie man schneller zu Geld komme. Er sei nicht der Typ, sagte er, der sich mit einer Rente von weniger als hunderttausend Franc begnügt. Das war vor dem Krieg. Hunderttausend! … Stellen Sie sich das mal vor! Wir dachten, er macht einen Witz, aber er meinte es ernst.
›Abwarten und Tee trinken!‹ pflegte er zu sagen.
Nun, die Hunderttausend hat er nicht gekriegt, wie? … Bei mir war es das Fieber, das mich aus Asien vertrieben hat. Ich habe heute noch meine Schübe … Aber möchten Sie nicht etwas trinken, Kommissar? Wir müssen uns ohne Bedienung behelfen. Hab dem Mädchen befohlen, den ganzen Nachmittag wegzubleiben …«
Nein, Maigret war nicht nach trinken zumute! Er hatte auch keine Lust, das naive Zwinkern des Steuerinspektors und seine malaischen Greuelmärchen noch länger über sich ergehen zu lassen.
Mit Mühe brachte er ein höfliches Lächeln zustande, als er sich von seinem Gastgeber verabschiedete.
Zwei Stunden später stieg er an dem ihm nun schon vertrauten Bahnhof Tracy-Sancerre aus dem Zug. Auf dem Weg zum ›Hôtel de la Loire‹ ließ er sich alles, was er in den letzten Tagen in Erfahrung gebracht hatte, noch einmal durch den Kopf gehen:
»Ich versetze mich in Gallets Lage. Es ist Samstag, 25. Juni, und drückend heiß. Die Leber macht mir zu schaffen. Und in meiner Tasche steckt ein Brief von Monsieur Jacob, der mir mit einer Polizeianzeige droht, wenn ich ihm am Montag nicht zwanzigtausend Franc in bar ausbezahle.
Die Royalisten geben niemals auf Anhieb zwanzigtausend her. Die bezahlen
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