Maigret und die Affäre Saint Fiacre
wandte sich um.
»Sie sind hier der Verwalter?«
»Und Sie?«
»Kommissar Maigret von der Kriminalpolizei.«
»Maigret?« Der Name fiel dem Verwalter auf, der dazu jedoch in seinem Gedächtnis nicht gleich die Geda n kenverbindung fand.
»Hat man Sie unterrichtet?«
»Ich bin soeben benachrichtigt worden … Ich war auf der Jagd … Aber was hat die Polizei …?«
Er war ein kleiner, stämmiger Mann, grauhaarig, mit von feinen tiefen Runzeln gefurchter Haut und Augen, die wirkten als wären sie auf der Lauer hinter den dic h ten Brauen.
»Man hat mir gesagt, daß das Herz …«
»Wo gehen Sie hin?«
»Mit meinen verschlammten Stiefeln und der Flinte kann ich ja nicht ins Schloß …«
Aus seiner Jagdtasche hing der Kopf eines Hasen. Maigret blickte zum Haus, dem sie sich näherten.
»Ah, man hat die Küche umgebaut …«
Ein mißtrauischer Blick richtete sich auf ihn.
»Das ist fünfzehn Jahre her!« brummte der Verwalter.
»Ihr Name?«
»Gautier … Stimmt es, daß der Herr Graf herkam, ohne daß …«
All das kam zögernd, widerstrebend. Und Gautier forderte Maigret nicht auf, mit hineinzukommen. Er drückte seine Haustüre auf.
Der Kommissar trat dennoch ein, wandte sich nach rechts, zum Eßzimmer, wo es nach Kuchen und altem Branntwein roch.
»Kommen Sie, Monsieur Gautier … Da drüben braucht man Sie nicht … Und ich habe Ihnen ein paar Fragen zu stellen …«
»Schnell!« sagte eine Frauenstimme in der Küche. »Es heißt, es ist gräßlich …«
Und Maigret betastete den Eichentisch mit den geschnitzten Löwenköpfen an den Ecken. Es war derselbe wie seinerzeit! Man hatte ihn nach dem Tod des Vaters an den neuen Verwalter weiterverkauft.
»Sie trinken doch sicher etwas?«
Gautier wählte eine Flasche aus dem Büfett, vielleicht um Zeit zu gewinnen.
»Was halten Sie von diesem Monsieur Jean … übrigens, wie ist sein Familienname? …«
»Métayer … Eine recht gute Familie aus Bourges …«
»Kostete er die Gräfin viel Geld?«
Gautier füllte die Gläser mit Branntwein, blieb aber beharrlich stumm.
»Was hatte er im Schloß zu tun? Ich nehme an, daß Sie, als Verwalter, sich um alles kümmern …«
»Um alles.«
»Also?«
»Zu tun hatte er nichts … Ein bißchen Privatkorrespondenz … Am Anfang gab er vor, der Frau Gräfin durch seine Finanzkenntnisse zu Einnahmen zu verhe l fen … Er kaufte Wertschriften, deren Kurs nach wenigen Monaten herunterpurzelte. Aber er behauptete, daß er das Ganze und noch viel mehr wieder hereinbringen würde, dank einem neuen Fotografie-Verfahren, das einer seiner Freunde erfunden hätte … Das kostete die Frau Gräfin so an die hunderttausend, und der Freund ist verschwunden … Dann, zuletzt, kam eine Geschichte um Bildreprodu k tion … Ich kenne mich da nicht aus … Irgend etwas wie Foto- oder Lichtdruck, aber billiger …«
»Jean Métayer war ja recht emsig!«
»Er machte bloß viel Wind. Er schrieb Beiträge für das Journal de Moulins , die man der Frau Gräfin zuliebe nicht ablehnen konnte … Dort stellte er auch Versuche mit Reproduktionen an, und der Chefredakteur wagte nicht, ihn vor die Türe zu setzen … Zum Wohl!«
Dann, plötzlich beunruhigt:
»Es wird doch zwischen ihm und dem Herrn Grafen nichts vorgefallen sein?«
»Gar nichts.«
»Ich nehme an, daß Sie nur zufällig hier sind … Da es sich um Herzversagen handelt, gibt es keinen Grund …«
Störend war, das es unmöglich schien, des Verwalters Blick einzufangen. Er wischte sich den Schnurrbart ab, wandte sich zum Nebenzimmer.
»Sie erlauben, daß ich mich umziehe? … Ich sollte zum Hochamt in die Kirche, und jetzt …«
»Wir sehen uns wieder!« sagte Maigret zum Abschied.
Er hatte die Haustüre noch nicht ganz geschlossen, als er die Frau, die unsichtbar geblieben war, fragen hörte:
»Wer ist das?«
Der Hof, in dem er einst auf gestampfter Erde mit seinen Murmeln gespielt hatte, war jetzt gepflastert.
Gruppen im Sonntagsstaat füllten den Dorfplatz, und aus der Kirche drangen Orgelklänge herüber. Die Kinder trauten sich in ihren neuen Kleidern nicht zu spielen. Und überall wurden Taschentücher hervorgezogen. Die Nasen waren gerötet. Und man schneuzte sich pr u stend.
Maigret fing einzelne Gesprächsfetzen auf.
»Es ist ein Polizeibeamter aus Paris.«
»Er soll wegen der Kuh da sein, die letzte Woche bei Mathieu krepiert ist …«
Ein wichtigtuerischer Bursche mit roter Blume im Knopfloch seines dunkelblauen Sergeanzugs, blankgew a
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