Maigret und die Tänzerin Arlette
Scherereien zu bekommen, hatte ich von dem Mädchen verlangt, sich die Schamhaare abzurasieren, denn dann scheint das weniger unzüchtig zu wirken. Hinterher wurde sie fast immer an einen der Tische gebeten.«
»Ist sie dann auch mit den Männern ins Bett gegangen?« fragte Maigret in gleichgültigem Ton.
»Hier jedenfalls nicht. Und auch nicht während der Arbeitsstunden. Ich lasse die Mädchen, solange hier offen ist, nicht aus dem Hause. Sie sorgen dafür, daß die Gäste möglichst lange bleiben, und animieren sie zum Trinken; vermutlich versprechen sie ihnen auch, sie hinterher am Ausgang zu treffen.«
»Tun sie das dann?«
»Ja, was denken Sie denn!«
»Arlette auch?«
»Bestimmt ist das auch bei ihr vorgekommen.«
»Mit dem jungen Mann heute nacht zum Beispiel?«
»Mit dem sicher nicht. Der hat es, wie man so sagt, ernst gemeint. Er ist einmal zufällig mit einem Freund hergekommen und hat sich dann gleich bis über beide Ohren in Arlette verknallt. Er war danach noch ein paarmal hier, ist aber nie bis zum Schluß geblieben. Er wird wohl früh aufstehen müssen, weil seine Arbeit zeitig beginnt.«
»Hatte sie noch andere regelmäßige Kunden?«
»Bei uns gibt’s kaum Stammgäste, das müßten Sie doch schon wissen. Es ist alles Laufpublikum. Sie gleichen sich natürlich alle, es sind aber doch immer neue.«
»Hatte sie keine Freunde?«
»Darüber weiß ich nichts«, antwortete er ziemlich kühl.
Mit einem scheuen Blick auf Rosa fragte Maigret Fred:
»Haben Sie auch manchmal…«
»Sie brauchen keine Hemmungen zu haben. Rosa ist nicht eifersüchtig, das macht ihr schon seit langem nichts mehr aus. Ja, ich habe auch, wenn Sie’s durchaus wissen wollen.«
»Bei ihr zu Hause?«
»Ich bin nie bei ihr gewesen. Hier. In der Küche.«
»So macht er das immer«, sagte Rosa. »Aber das geht immer ganz rasch. Kaum ist er verschwunden, ist er schon wieder da. Und das Mädchen kommt gleich hinterher, als wäre nichts geschehen.«
Sie mußte lachen, während sie das berichtete.
»Wissen Sie nichts von der Gräfin?«
»Von welcher Gräfin?«
»Nun gut, ist auch nicht so wichtig. Können Sie mir die Adresse des Heuschrecks sagen? Wie heißt er wirklich?«
»Thomas… er hat keinen anderen Namen. Er ist im Waisenhaus aufgewachsen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wo er schläft, aber Sie können ihn heute nachmittag beim Rennen finden. Das ist seine einzige Leidenschaft. Noch ein Gläschen?«
»Nein, danke.«
»Glauben Sie, daß Leute von den Zeitungen herkommen werden?«
»Das werden sie wohl, sobald sie von der Sache Wind kriegen.«
Es war schwer zu erraten, ob Fred von der Aussicht auf die Reklame, die das für ihn bedeuten würde, begeistert oder beunruhigt war.
»Jedenfalls stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich halte es im übrigen für besser, daß ich heute wie immer aufmache. Wenn Sie vorbeikommen wollen, können Sie alle hier vernehmen!«
Als Maigret wieder in die Rue Notre-Dame-de-Lorette kam, war der Wagen des Erkennungsdienstes schon fort, und eben fuhr der Krankenwagen mit der Leiche des Mädchens ab. Vor der Tür des Hauses stand eine kleine Gruppe Neugieriger, aber von einem Menschenauflauf, wie man hätte vermuten können, konnte nicht die Rede sein.
In der Pförtnerloge telefonierte Janvier gerade. Als er eingehängt hatte, sagte er zu Maigret:
»Wir haben schon Nachricht aus Moulins. Die Leleus leben alle beide noch, Vater und Mutter, und sie haben auch noch einen Sohn, der Bankangestellter ist. Jeanne, ihre Tochter, ist eine kleine Braunhaarige mit einer Stupsnase, sie ist vor drei Jahren von zu Hause ausgerissen und hat seitdem nie ein Lebenszeichen von sich gegeben. Die Eltern wollen nichts mehr von ihr wissen.«
»Die Personenbeschreibung stimmt nicht mit der Arlettes überein?«
»Nein, überhaupt nicht. Das Mädchen dort ist fünf Zentimeter kleiner als Arlette, und es ist ja wohl auch kaum anzunehmen, daß sich Arlette die Nase hat verlängern lassen.«
»Von der Gräfin noch nichts?«
»Nein, nicht das geringste. Ich habe die Mieter im Hause B befragt. Es sind ziemlich viele. Die dicke Blonde, die gesehen hat, wie wir hinaufgingen, ist Garderobenfrau in einem Theater. Sie behauptet, sie kümmere sich um nichts, was im Hause vorgehe, hat aber wenige Minuten vor dem jungen Mädchen jemanden vorbeikommen hören.«
»Dann hat sie also auch gehört, wie Arlette hinaufging. Woran hat sie sie erkannt?«
»An ihrem Schritt, sagt sie. In Wirklichkeit lauert sie beständig hinter
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