Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und die Tänzerin Arlette

Maigret und die Tänzerin Arlette

Titel: Maigret und die Tänzerin Arlette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
der halbgeöffneten Tür.«
    »Hat sie den Mann gesehen?«
    »Sie sagt nein, aber er sei langsam die Treppe hinaufgestiegen, wie jemand, der sehr dick oder herzkrank ist.«
    »Hat sie ihn nicht wieder herunterkommen hören?«
    »Nein.«
    »Ist sie sicher, daß es nicht ein Mieter aus einem der oberen Stockwerke war?«
    »Sie erkennt alle Mieter an ihrem Schritt. Ich war auch bei Arlettes Nachbarin, einer Kellnerin, die ich erst wecken mußte. Aber sie hat überhaupt nichts gehört.«
    »Das ist alles?«
    »Lucas hat angerufen, er sei wieder im Büro und warte auf Anweisungen.«
    »Und die Fingerabdrücke?«
    »Man hat nur unsere und Arlettes gefunden. Sie bekommen den Bericht heute abend.«
    »Wohnt hier nicht jemand, der mit Vornamen Oskar heißt?« fragte Maigret für alle Fälle die Concierge.
    »Nein, Kommissar Maigret. Aber schon vor sehr langer Zeit habe ich einmal eine telefonische Nachricht für Arlette angenommen. Eine Männerstimme, die nicht wie die eines Parisers klang, hat gesagt: ›Richten Sie ihr bitte aus, daß Oskar sie erwartet. Sie weiß schon wo.‹«
    »Wann ist das ungefähr gewesen?«
    »Ein oder zwei Monate, nachdem sie hier eingezogen war. Ich habe es deshalb behalten, weil es das einzige Mal war, daß sie angerufen wurde.«
    »Bekam sie Post?«
    »Hin und wieder einen Brief aus Brüssel.«
    »War es eine Männerhandschrift?«
    »Nein, eine Frauenhandschrift, und eine ziemlich ungebildete.«
    Eine halbe Stunde später stiegen Maigret und Janvier, die unterwegs in der Brasserie Dauphine rasch ein Bier getrunken hatten, die Treppe am Quai des Orfevres hinauf.
    Maigret hatte kaum die Tür zu seinem Büro geöffnet, da kam der kleine Lapointe dunkelrot und mit fiebrigen Augen herein. »Ich muß Sie sofort sprechen, Chef.«
    Als der Kommissar sich vom Wandschrank – in den er Mantel und Hut gehängt hatte – umdrehte, sah er, wie sein Inspektor sich verzweifelt auf die Lippen biß, um nicht loszuheulen.

 
    DRITTES KAPITEL
     
     
     
    Mit dem Rücken zu Maigret und das Gesicht fast an die Scheibe gepreßt, murmelte er:
    »Als ich sie heute morgen hier sah, hatte ich keine Ahnung, warum man sie hergebracht hatte. Auf dem Weg nach Javel hat mir Lucas die Geschichte erzählt. Und als ich eben zurückkam, habe ich gehört, daß sie tot ist.«
    Maigret, der sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, sagte leise: »Ich hatte nicht daran gedacht, daß du ja auch Albert heißt.«
    »Nach dem, was sie ihm anvertraut hatte, hätte Lucas sie nicht unbewacht fortgehen lassen dürfen.«
    Er sprach wie ein schmollendes Kind, und Maigret konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
    »Komm her, setz dich.«
    Lapointe zögerte, als grollte er Maigret ebenfalls. Dann setzte er sich widerwillig auf den Stuhl, dem Schreibtisch gegenüber. Aber er blickte noch immer nicht auf, sondern starrte auf den Fußboden. Maigret zog bedächtig an seiner Pfeife. Sie saßen da wie Vater und Sohn, die eine ernste Aussprache haben.
    »Du bist noch nicht sehr lange hier im Hause, aber eines solltest du doch schon wissen: wenn wir alle, die jemanden anzeigen, vor einem Racheakt schützen wollten, kommt ihr kaum zum Schlafen, ja nicht einmal dazu, ein Brötchen zu essen. Stimmt das?«
    »Ja, Chef. Aber…«
    »Was aber?«
    »Bei ihr war das etwas anderes.«
    »Warum?«
    »Sie sehen doch, daß es sich nicht um eine aus der Luft gegriffene Anzeige gehandelt hat.«
    »Na, nun hast du dich ja wieder etwas beruhigt. Also jetzt leg mal los und erzähle.«
    »Was soll ich erzählen?«
    »Alles.«
    »Wie ich sie kennengelernt habe?«
    »Meinetwegen. Beginn mit dem Anfang.«
    »Ich war mit einem Freund aus Meulan zusammen, einem Schulkameraden, der nicht oft Gelegenheit hat, nach Paris zu kommen. Wir sind erst mit meiner Schwester ausgegangen, dann haben wir sie wieder nach Hause gebracht und sind beide zum Montmartre gefahren. Sie wissen ja, wie das dann zugeht. Wir haben erst in zwei oder drei Lokalen etwas getrunken, und als wir aus dem letzten herauskamen, hat so ein Gnom uns eine Karte in die Hand gedrückt.«
    »Warum sagst du: so ein Gnom?«
    »Weil er nur so groß war wie ein Vierzehnjähriger, aber das Gesicht voller Falten hatte wie ein Mensch, der schon alles hinter sich hat. Sein Körper und seine ganze Gestalt sind die eines Straßenjungen, und darum nennt man ihn wohl den Heuschreck. Da mein Freund von den anderen Lokalen enttäuscht war, habe ich gedacht, er würde im Picratt mehr auf seine Kosten kommen, und so sind wir

Weitere Kostenlose Bücher