Maigret und die Tänzerin Arlette
Beschreibung kann ich nichts anfangen. Unser Schlächter heißt auch Oskar, aber das ist ein großer Brauner mit Schnurrbart. Vielleicht, daß mein Mann…«
»Holen Sie ihn bitte.«
Er blieb allein an seinem Platz, in diesem schlauchartigen, roten Raum, an dessen Ende die Tür ein hellgraues Viereck bildete, wie eine Leinwand, auf der eben die schattenhaften Figuren einer uralten Filmwochenschau vorübergehuscht waren.
Genau ihm gegenüber an der Wand sah er ein Foto Arlettes, wieder in dem schwarzen Kleid, das sich so eng an ihren Körper schmiegte, daß sie nackter wirkte als auf den obszönen Fotos, die er in der Tasche hatte.
Heute morgen in Lucas’ Büro hatte er sie kaum beachtet. Solche kleinen Nachtvögel begegneten einem zu häufig. Dennoch hatte er gemerkt, daß sie noch blutjung und daß irgend etwas Besonderes an ihr war. Er hörte noch ihre müde Stimme, die Stimme, die diese Mädchen alle haben, wenn sie nachts zuviel getrunken und geraucht haben. Er sah ihre unruhigen Augen deutlich vor sich, erinnerte sich auch daran, daß er unwillkürlich einen Blick auf ihre Brust geworfen hatte, und daß er besonders stark die Anwesenheit einer Frau gerochen hatte.
Selten war ihm eine Frau mit so starkem Sex-Appeal begegnet, und das paßte so gar nicht zu ihrem ängstlichen Jungmädchenblick und noch weniger zu der Wohnung, die er eben besichtigt hatte, mit dem so blank gebohnerten Fußboden und all dem Hausrat, bei dem nichts fehlte.
»Fred kommt gleich herunter.«
»Haben Sie ihn schon danach gefragt?«
»Ich habe ihn gefragt, ob er zwei Männer bemerkt hat, aber er kann sich nicht an sie erinnern. Er ist sogar sicher, daß an dem Tisch nicht zwei Gäste gesessen haben. Das ist der Tisch 4. Wir bezeichnen die Tische nämlich mit Nummern. Am Tisch 5 hat ein Amerikaner gesessen, der fast eine ganze Flasche Whisky getrunken hat, und am Tisch 11 saß eine ganze Gruppe mit Frauen. Désiré, unser Kellner, wird es Ihnen heute abend bestätigen können.«
»Wo wohnt er?«
»In einem Vorort. Ich weiß aber nicht genau, wo. Er fährt immer morgens von der Gare Saint Lazare nach Hause.«
»Haben Sie sonst noch Personal?«
»Der Schlepper, von dem ich Ihnen schon erzählt habe – wir nennen ihn den Heuschreck –, er verteilt die Karten und öffnet den Gästen den Wagenschlag. Und dann, die Musiker und die Frauen.«
»Wie viele Frauen?«
»Außer Arlette die Betty Bruce, die Sie da auf dem Bild links sehen. Sie führt die akrobatischen Tänze vor. Und dann Tanja, die vor und hinter ihrer Nummer Klavier spielt. Das sind alle im Augenblick. Natürlich kommen auch manchmal welche von draußen, die hier was trinken, in der Hoffnung, eine Bekanntschaft zu machen, aber sie gehören nicht zum Hause. Wir bilden hier sozusagen eine Familie. Fred und ich haben keinen Ehrgeiz, und wenn wir genug Geld beiseite gelegt haben, werden wir still und friedlich in unserem Haus in Bougival leben. Aber da kommt er schon.«
Ein guterhaltener Fünfziger, von kleiner, gedrungener Gestalt, mit ganz schwarzem Haar, durch das sich nur an den Schläfen einige Silberfäden zogen, kam aus der Küche und war noch dabei, sich einen Rock über sein kragenloses Hemd zu streifen. Er schien nach den ersten besten Kleidungsstücken gegriffen zu haben, denn er trug seine Smokinghose, und seine bloßen Füße steckten in Pantoffeln.
Er war ebenso ruhig, ja, noch ruhiger als seine Frau. Sicherlich kannte er Maigret dem Namen nach, aber es war das erstemal, daß er ihm persönlich begegnete. Er kam langsam näher, um ihn in aller Ruhe mustern zu können. »Fred Alfonsi«, stellte er sich vor und reichte ihm die Hand. »Hat Ihnen meine Frau nichts angeboten? Möchten Sie wirklich nichts haben? Aber es stört Sie hoffentlich nicht, wenn mir Rosa eine Tasse Kaffee macht?«
Rosa war seine Frau, die daraufhin auch gleich in der Küche verschwand. Er setzte sich dem Kommissar gegenüber, stemmte die Ellbogen auf den Tisch und wartete. Sie saßen am Tisch 4.
»Sind Sie sicher, daß heute nacht an diesem Tisch niemand gesessen hat?«
»Hören Sie mal, Kommissar, ich weiß, wer Sie sind, aber Sie kennen mich nicht. Vielleicht haben Sie sich, ehe Sie herkamen, bei Ihren Kollegen, die die Nachtlokale überwachen, nach mir erkundigt. Diese Herren kreuzen hin und wieder hier auf, wie das ja zu ihrem Beruf gehört. Und das schon jahrelang. Wenn sie’s nicht bereits getan haben, so werden sie Ihnen sagen, daß bei mir noch nie eine Unregelmäßigkeit
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