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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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denken, weil man hinter ihm eine Palme sah.«
    »Haben Sie keine Ähnlichkeit bemerkt?«
    »Mit ihr? Nein. Wenn es ihr Vater war, dann sah sie ihm jedenfalls nicht ähnlich.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihm begegneten?«
    »Wenn er sich nicht zu sehr verändert hat.«
    »Haben Sie mit Ihrer Mieterin nicht über ihn gesprochen?«
    »Ich konnte ihr doch nicht gut sagen, daß ich das Foto in ihrer Tasche gesehen hatte. Ich habe nur die Rede auf Nizza und den Süden gebracht.«
    »Du kannst das alles mitnehmen, Janvier.«
    Maigret deutete auf die Sachen in den Schubladen, auf den Morgenrock im Schrank, auf den blauen Koffer. In den Koffer ging alles bequem hinein, aber da Maigret das Schloß aufgebrochen hatte, mußte er die alte Dame bitten, ihm ein Stück Bindfaden zu geben, mit dem er den Koffer zubinden konnte.
    »Glauben Sie, daß ich Scherereien haben werde?«
    »Durch uns nicht.«
    »Aber durch die Leute von der Steuer?«
    Maigret zuckte die Schultern und murmelte:
    »Damit haben wir nichts zu tun.«

 
    VIERTES KAPITEL
     
     
     
    Die alte Frau, die ihre Tür absichtlich nicht wieder ganz zugemacht hatte, sah die beiden sich nicht zum Fahrstuhl oder zur Treppe, sondern zu der Wohnung gegenüber wenden. Als sie wieder herauskamen, fiel Maigret auf, daß sich die Tür ein wenig bewegte. Und während sie hinunterfuhren, sagte er zu Janvier:
    »Sie ist eifersüchtig.«
    Als er einmal mit jemandem einer Verhandlung vor dem Schwurgericht beiwohnte, hatte ihn sein Begleiter gefragt:
    »Woran der Angeklagte wohl denken mag?«
    Und Maigret hatte geantwortet:
    »An das, was in der nächsten Ausgabe der Zeitungen über ihn stehen wird.«
    Nach seiner Meinung dachten alle Mörder, mindestens bis zu ihrer Verurteilung, weniger an ihre Untat oder gar an ihr Opfer als an ihre Wirkung auf das Publikum. Von einem Tag zum anderen sind sie Stars geworden. Journalisten und Fotografen sind hinter ihnen her, und die Leute stehen manchmal stundenlang Schlange, nur um sie mit eigenen Augen sehen zu können. Ist es da verwunderlich, daß sie sich wie schlechte Schauspieler gebärden?
    Die Witwe Cremieux war wahrscheinlich nicht begeistert darüber gewesen, daß die Polizei in ihre Wohnung eindrang. Maigret hatte zudem eine Art, Fragen zu stellen, die einen daran hinderte, so zu antworten, wie man es gern getan hätte. Sie hatte ein paar nicht sehr angenehme Sachen eingestehen müssen. Aber immerhin, fast eine Stunde lang hatte man sich mit ihr befaßt und sogar jede noch so geringfügige ihrer Bemerkungen in ein Notizbuch geschrieben!
    Aber nun läutete der gleiche Kommissar an der Wohnung gegenüber und erwies einem kleinen ungeschlachten Dienstmädchen dieselbe Ehre.
    Roses Herrin war ebenfalls etwas verärgert gewesen, als Maigret zu ihr gesagt hatte:
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Kinder zu hüten, während wir Ihrem Mädchen einige Fragen stellen?«
    Rose war kaum sechzehn Jahre alt und hatte ihren jugendlichen Schmelz noch nicht verloren.
    »Das warst du, die mich heute angerufen hat, nicht wahr?«
    »Ja, Herr Kommissar.«
    »Hast du Luise Laboine gekannt?«
    »Ihren Namen wußte ich nicht.«
    »Bist du ihr auf der Treppe begegnet?«
    »Ja, Herr Kommissar.«
    »Hat sie mit dir gesprochen?«
    »Sie hat nie mit mir gesprochen, aber sie hat mich jedesmal angelächelt. Ich habe immer gedacht, sie sei traurig. Sie sah wie eine Filmschauspielerin aus.«
    »Hast du sie nicht auch manchmal woanders als auf der Treppe gesehen?«
    »Mehrmals.«
    »Wo?«
    »Auf der Bank am Square de la Trinité, wo ich jeden Nachmittag mit den Kindern hingehe.«
    »Was machte sie da?«
    »Nichts.«
    »Wartete sie auf jemanden?«
    »Ich habe sie nie mit jemandem gesehen.«
    »Las sie?«
    »Nein. Einmal hat sie ein Brötchen gegessen. Glauben Sie, sie wußte, daß sie so bald sterben würde?«
    Das war alles, was sie von Rose erfahren hatten. Es bewies jedenfalls, daß das junge Mädchen seit einiger Zeit keiner regelmäßigen Arbeit mehr nachging. Sie blieb immer in der Nähe des Hauses und setzte sich vor die Kirche am Square de la Trinité.
    Maigret hatte Rose noch gefragt:
    »Hast du sie nie in die Kirche gehen sehen?«
    »Nein, Herr Kommissar.«
    »Wollen wir was trinken?«
    Es war elf Uhr vorüber. Sie gingen in eine Bar an der Straßenecke und tranken stumm ihren Aperitif, als ob sie beide über das nachdächten, was sie soeben erfahren hatten.
    Es war mit Luise Laboine wie mit den fotografischen Platten, die man in den

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