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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Concierge etwas davon gesagt?«
    »Darüber wollen wir jetzt nicht reden, Madame Cremieux. Verlieren wir keine Zeit, und beachten Sie bitte, daß ich die Fragen stelle.«
    Voller Würde erwiderte sie:
    »Bitte, ich bin ganz Ohr.«
    »Hat Luise Laboine sich auf Ihre Annonce gemeldet?«
    »Sie hat mich angerufen und nach dem Preis gefragt. Ich habe ihn ihr genannt, und sie meinte darauf, ob ich mich nicht vielleicht mit etwas weniger begnügen könnte. Ich habe ihr gesagt, sie solle einmal vorbeikommen.«
    »Sind Sie ihr mit dem Preis entgegengekommen?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil ich mich immer breitschlagen lasse. Wenn sie das Zimmer mieten, geben sie sich alle sehr ordentlich, sind demütig und rücksichtsvoll. Ich habe sie gefragt, ob sie abends viel ausginge, und sie hat das verneint.«
    »Wissen Sie, wo sie arbeitete?«
    »Wohl in einem Büro, aber ich weiß nicht, in welchem. Nach ein paar Tagen habe ich gemerkt, was für ein Mensch sie war.«
    »Was für einer denn?«
    »Sie gehörte zu den verschlossenen, die, wenn sie sich einmal vorgenommen haben, nichts zu sagen…«
    »Wissen Sie nichts Näheres über sie? Sprach sie nicht mit Ihnen?«
    »Kaum. Sie betrachtete das hier sozusagen als Hotel. Morgens beim Fortgehen sagte sie mir nur flüchtig guten Morgen, wenn sie mir begegnete.«
    »Ging sie immer zur gleichen Zeit fort?«
    »Das gerade hat mich stutzig gemacht. An den ersten zwei oder drei Tagen ging sie um halb neun fort, und ich schloß daraus, daß ihre Arbeit um neun Uhr begann. Aber dann ging sie mehrmals hintereinander erst um Viertel nach neun, und ich habe sie gefragt, ob sie ihre Stellung gewechselt hätte.«
    »Was hat sie darauf geantwortet?«
    »Gar nichts. Das war so ihre Art. Wenn sie eine Frage verlegen machte, tat sie so, als ob sie sie nicht hörte, und am Abend versuchte sie, jede Begegnung mit mir zu vermeiden.«
    »Mußte sie durch den Salon gehen, um in ihr Zimmer zu gelangen?«
    »Ja. Ich halte mich meistens hier auf. Ich forderte sie auf, sich zu setzen und eine Tasse Kaffee oder Tee mit mir zu trinken. Ein einziges Mal fand sie sich dazu bereit, mir Gesellschaft zu leisten, aber sie hat bestimmt kaum fünf Sätze gesagt.«
    »Worüber haben Sie gesprochen?«
    »Über alles. Ich wollte herausbekommen, wer sie war, wohin sie ging, wo sie bis dahin gelebt hatte.«
    »Ist Ihnen das gelungen?«
    »Ich weiß nur, daß sie den Süden kannte. Ich habe mit ihr über Nizza gesprochen, wo mein Mann und ich alljährlich vierzehn Tage verbrachten, und ich habe deutlich gemerkt, daß es ihr vertraut war. Als ich sie nach ihrem Vater und ihrer Mutter fragte, machte sie ein abweisendes Gesicht. Wenn Sie sie mit dieser Miene gesehen hätten, hätte Sie das auch außer sich gebracht.«
    »Wo nahm sie ihre Mahlzeiten ein?«
    »Immer außerhalb. Der Brandgefahr wegen gestatte ich das Kochen im Zimmer nicht. Wenn sie sich ihren Spirituskocher mitbringen, weiß man nie, was passieren kann. Ich habe schließlich wertvolle antike Möbel, die alte Erbstücke sind. Wenn sie hier etwas aß, hat sie jedenfalls nie einen Krümel hinterlassen, und ein paarmal hat sie fettiges Papier verbrannt, in dem gewiß Wurst oder Schinken eingewickelt gewesen war.«
    »Verbrachte sie ihre Abende allein in ihrem Zimmer?«
    »Oft. Sie ging nur zwei- oder dreimal in der Woche aus.«
    »Zog sie sich dafür besonders an?«
    »Wie soll man sich besonders anziehen, wenn man nur ein Kleid und einen Mantel besitzt? Im letzten Monat ist dann das passiert, was ich schon hatte kommen sehen.«
    »Was hatten Sie kommen sehen?«
    »Daß sie eines Tages ihre Miete nicht mehr würde bezahlen können.«
    »Hat sie sie Ihnen nicht bezahlt?«
    »Sie hat mir hundert Francs angezahlt und mir den Rest für Ende der Woche versprochen. Aber am Wochenende hat sie versucht, mir auszuweichen. Ich habe ihr aufgelauert, und sie hat mir gesagt, ich würde das Geld in ein oder zwei Tagen bekommen. Glauben Sie nicht, daß ich knauserig bin und nur an Geld denke. Natürlich brauche ich es, wie jedermann. Aber wenn sie sich etwas entgegenkommender gezeigt hätte, wäre ich nicht ungeduldig geworden.«
    »Haben Sie ihr gekündigt?«
    »Vor drei Tagen. Am Tage, ehe sie verschwunden ist.
    Ich habe ihr gesagt, ich erwartete eine Verwandte zu Besuch und brauchte das Zimmer.«
    »Wie hat sie darauf reagiert?«
    »Sie hat erwidert: ›Gut.‹«
    »Würden Sie uns in ihr Zimmer führen?«
    Die alte Dame erhob sich. Sie hatte noch nichts von ihrer Würde

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