Maigret und die Unbekannte
wiedererkannt.«
»Der Chauffeur weiß wohl nicht, wohin sie gegangen ist?«
Lognon mußte sich schneuzen. Er zeigte sich nicht triumphierend, sondern im Gegenteil übertrieben demütig, als ob er sich für das wenige, das er herausbekommen hatte, entschuldigen wollte.
»In dem Augenblick, das heißt einige Minuten später, ist ein Paar aus dem Lokal herausgekommen und hat sich zum Étoile fahren lassen. Als Zirkt über die Place Saint-Augustin fuhr, hat er das Mädchen wiedergesehen, das zu Fuß über den Platz ging. Sie ging schnell auf den Boulevard Haussmann zu, als ob sie zu den Champs-Elysées wollte.«
»Ist das alles?«
»Er hat seine Fahrgäste abgesetzt, und zu seiner Überraschung hat er das Mädchen dann noch einmal an der Ecke des Boulevard Haussmann und des Faubourg Saint-Honoré gesehen. Sie war immer noch unterwegs. Er hat auf seine Uhr gesehen, weil es ihn interessierte, zu wissen, wie lange sie für den ganzen Weg gebraucht hatte. Es war schon fast eins.«
Aber erst um zwei Uhr war Luise Laboine ermordet worden, und um drei Uhr hatte man sie an der Place Vintimille tot aufgefunden.
Lognon hatte gute Arbeit geleistet. Dabei war er noch nicht mit allem herausgerückt. Maigret merkte es daran, daß er sitzenblieb und ein drittes Stück Papier aus seiner Tasche zog.
»Marco Santoni wohnt in der Rue de Berri.«
»Haben Sie ihn ebenfalls gesehen?«
»Nein, nach der Hochzeitsfeier im Romeo haben sich die Jungvermählten im Flugzeug nach Florenz begeben, wo sie ein paar Wochen bleiben wollen. Ich habe mit seinem Diener, Josef Ruchon, gesprochen.«
Lognon hatte keinen Wagen zu seiner Verfügung, und er hatte bestimmt kein Taxi genommen, weil er im voraus wußte, daß man seine Spesenrechnung besonders streng unter die Lupe nehmen würde.
In der Nacht hatte er all die Wege zu Fuß zurücklegen müssen, und heute morgen hatte er sicherlich Metro oder Autobus benutzt.
»Ich habe auch den Barmixer bei Fouguet an den Champs-Elysées verhört und ebenso die von zwei anderen Lokalen. Den vom Maxim konnte ich nicht erreichen, weil er in einem Vorort wohnt und noch nicht da war.«
Seine Tasche schien unerschöpflich. Immer wieder angelte er ein Stück Papier heraus.
»Santoni ist fünfundvierzig Jahre alt. Er ist ein schöner Mann, ein wenig fett, sehr gepflegt und verkehrt in Kabaretts, Bars und den besten Restaurants. Er hat zahlreiche Geliebte, vor allem Mannequins und Tänzerinnen. Soweit ich feststellen konnte, hat er Janine Armenieu vor vier oder fünf Monaten kennengelernt.«
»War sie auch Mannequin?«
»Nein. Sie verkehrte nicht in den gleichen Kreisen wie er, und er hat nie verraten, wo er sie aufgetan hat.«
»Wie alt ist sie?«
»Zweiundzwanzig. Kurz nachdem sie Santoni kennengelernt hatte, ist sie ins Hotel Washington in der Rue Washington gezogen. Santoni hat sie dort häufig besucht, und bisweilen hat Janine die Nacht bei ihm verbracht.«
»Ist das seine erste Ehe?«
»Ja.«
»Hat der Diener das Foto der Toten gesehen?«
»Ich habe es ihm gezeigt. Er behauptet, sie nicht zu kennen. Ich habe es ebenfalls den drei Barmixern gezeigt, die mir die gleiche Antwort gegeben haben.«
»War der Diener in der Nacht von Montag zu Dienstag in der Wohnung?«
»Er war damit beschäftigt, die Koffer für das junge Paar zu packen. Es hat niemand geläutet. Santoni und seine Frau sind sehr heiter um fünf Uhr morgens zurückgekehrt, haben sich umgezogen und sind dann nach Orly gefahren.«
Es folgte wieder ein Schweigen. Jedesmal wollte Lognon so den Anschein erwecken, als ob er alles ausgepackt hätte, aber an der Art des Schweigens und seiner demütigen Haltung merkte Maigret, daß er noch etwas zurückhielt.
»Wissen Sie nicht, ob das junge Mädchen lange im Romeo gewesen ist?«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, ich habe den Portier gefragt.«
»Mußte man die Einladungskarten am Eingang zeigen?«
»Nein. Einige haben sie gezeigt, andere nicht. Der Portier erinnert sich, daß das junge Mädchen kurz vor Mitternacht kam, als man gerade zu tanzen begonnen hatte. Weil sie nicht wie ein Strichmädchen wirkte und er sie für eine Freundin der jungen Frau hielt, hat er sie hereingelassen.«
»Sie ist also nur ungefähr eine Viertelstunde geblieben?«
»Ja. Ich habe den Barmixer verhört.«
»War er heute früh im Romeo?«
Und Lognon antwortete schlicht:
»Nein. Ich war in seiner Wohnung an der Porte des Ternes. Er schlief noch.«
Wenn man all diese Wege Stück für Stück zusammensetzte,
Weitere Kostenlose Bücher