Maigret und die Unbekannte
Lippen.
»Wir wissen nicht, was sie vorher getan hat. Der Witwe Cremieux hat sie als ihren Namen Luise Laboine angegeben. Die Dame hat aber ihren Personalausweis nicht gesehen.«
»Kann ich meine Recherchen fortsetzen?«
Was hatte es für einen Sinn, etwas dagegen zu sagen?
»Natürlich, mein Lieber, wenn Sie wollen. Nur übernehmen Sie sich nicht!«
»Ich danke Ihnen.«
Maigret blieb eine Weile in seinem Büro allein und starrte, ohne sich dessen bewußt zu werden, auf den Stuhl, auf dem kurz zuvor der Pechvogel gesessen hatte.
Immer noch erschienen wie auf einer fotografischen Platte neue Züge Luise Laboines, aber das Ganze blieb verschwommen.
War sie in den letzten beiden Monaten, in denen sie keine regelmäßige Arbeit hatte, auf der Suche nach Janine Armenieu gewesen?
Es war zum Beispiel möglich, daß sie plötzlich in der Zeitung gelesen hatte, daß Janine Marco Santoni heiratete und daß aus diesem Anlaß ein großer Empfang im Romeo stattfand.
Wenn dem so war, hatte sie die Zeitung erst am späten Nachmittag gelesen, weil es schon nach neun gewesen war, als sie zu Mademoiselle Irene geeilt war, um sich ein Abendkleid zu besorgen. Um zehn Uhr hatte sie den Laden in der Rue de Douai verlassen. Was hatte sie von zehn bis Mitternacht getan? Von der Rue de Douai bis zur Rue Caumartin waren es zu Fuß kaum zwanzig Minuten.
Mußte man annehmen, daß sie diese ganze Zeit unentschlossen durch die Straßen geirrt war?
Dr. Pauls Bericht lag noch auf dem Schreibtisch. Maigret überflog ihn noch einmal. Der Mageninhalt, so hieß es darin, enthielt eine bestimmte Menge Alkohol.
Aber nach der Auskunft des Geschäftsführers hatte das junge Mädchen in der kurzen Zeit, die sie im Romeo verbracht hatte, keine Gelegenheit gehabt, etwas zu trinken.
Entweder hatte sie vorher getrunken, um sich Mut zu machen, oder nachher.
Er öffnete die Tür zum Zimmer der Inspektoren und rief Janvier.
»Ich habe eine Arbeit für dich. Du fährst zur Rue de Douai und gehst dann zu Fuß zur Rue Caumartin und zeigst unterwegs in allen Bars und Cafés das Foto.«
»Das, wo sie das Abendkleid anhat?«
»Ja, Versuch herauszukriegen, ob man das junge Mädchen am Montagabend zwischen zehn Uhr und Mitternacht gesehen hat.«
Als er schon die Tür hinter sich zumachen wollte, rief Maigret ihn noch einmal zurück.
»Wenn du Lognon begegnest, sag ihm aber nichts davon.«
»Verstanden, Chef.«
Der blaue Koffer stand noch in einer Ecke des Büros, und er schien einem keine Hinweise mehr geben zu können. Er war schon abgenutzt, ein billiger Koffer, wie man sie in den Warenhäusern und in der Nähe der Bahnhöfe zu kaufen bekommt.
Maigret verließ sein Büro und ging in das seines Kollegen Priollet von der Sittenpolizei, das sich am Ende des Flurs befand. Priollet unterschrieb gerade seine Post.
»Brauchst du mich?«
»Ich möchte nur eine Auskunft von dir haben. Kennst du einen gewissen Santoni?«
»Marco?«
»Ja.«
»Er hat gerade geheiratet.«
»Was weißt du sonst noch von ihm?«
»Er verdient viel Geld und gibt es ebenso leicht aus, wie er es verdient. Ein gutaussehender Bursche, der Frauen, gutes Essen und Luxusautos liebt.«
»Liegt gegen ihn nichts vor?«
»Nein. Er stammt aus einer guten Familie in Mailand. Sein Vater ist ein großes Tier in einer Wermutfirma, und Marco vertritt die Firma in ganz Frankreich. Er verkehrt in den Bars an den Champs-Elysées, in großen Restaurants und ist immer von hübschen Mädchen umgeben. Vor ein paar Monaten ist er einer ins Garn gegangen.«
»Janine Armenieu?«
»Wie sie heißt, weiß ich nicht. Wir hatten keinen Grund, uns mit ihm und seinen Geliebten zu befassen. Ich weiß von seiner Heirat nur dadurch, daß er in einem Nachtlokal, das er für diese Gelegenheit gemietet hat, ein rauschendes Fest gegeben hat.«
»Es wäre mir lieb, wenn du dich über seine Frau informiertest. Sie hat in den letzten Monaten im Hotel Washington gewohnt. Ich muß wissen, woher sie kommt, was sie getan hat, bevor sie ihn kennenlernte, wer ihre Freunde und Freundinnen, vor allem ihre Freundinnen waren.«
Priollet schrieb einige Worte auf einen Notizblock.
»Ist das alles? Hat es mit der Toten von der Place Vintimille zu tun?«
Maigret nickte.
»In deinen Akten hast du wohl nichts über eine gewisse Luise Laboine?«
Priollet rief durch eine offene Tür:
»Dauphin, hast du den Namen gehört?«
»Ja, Chef.«
»Sieh doch mal in den Akten nach.«
Ein paar Minuten später rief Inspektor Dauphin
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