Maigret und Monsieur Charles
bekommen...«
»Hat er Ihnen nicht gesagt, ob er ein Zimmer in der Stadt hat?«
»Hatte er eins?«
»Weiß ich nicht.«
»Nein. Er wollte mit zu mir kommen. In den vier Tagen damals lebten wir zusammen wie ein altes Liebespaar... Er schaute zu, wenn ich badete und mich ankleidete... Er lehnte am Fenster, wenn ich Einkäufe machte, und wenn ich nach Hause kam, war der Tisch gedeckt...«
»Fällt Ihnen sonst nichts ein, was mir helfen könnte, ihn wiederzufinden?«
»Nein. Ich überlege gerade... Wir gingen im Bois de Boulogne spazieren, aber dann bezog sich der Himmel und wir kehrten ziemlich schnell nach Hause zurück... Er war sehr...«
Sie schwieg plötzlich, als schäme sie sich.
»Fahren Sie fort.«
»Sie werden sich über mich lustig machen... Er war sehr zärtlich, voller kleiner Aufmerksamkeiten, als ob er verliebt wäre... Als er ging, drückte er mir einen Scheck in die Hand... Wollen Sie schon gehen?«
Mazotti, der Chef, wartete auf sie vor dem roten Vorhang, der die Tür verbarg.
»Haben Sie gefunden, was Sie suchten, Kommissar?«
»Martine wird es Ihnen sagen. Guten Abend.«
Die Persönlichkeit von Sabin-Levesque zeichnete sich etwas deutlicher ab, und Maigret hatte mehr über ihn erfahren als bei der Ehefrau und beim Kanzleileiter.
»Machen wir weiter?« fragte Lapointe.
»Wenn wir schon dabei sind... La Belle Helene, Rue de Castiglione...«
Hier schien es feiner zuzugehen. Alles war in Pastelltönen gehalten, und Violinen spielten einen langsamen Walzer. Maigret steuerte auch hier auf die Bar zu, gefolgt von Lapointe. Er musterte den Barkeeper mit gerunzelten Brauen.
»Haben sie dich entlassen?« fragte er.
»Ich bin wegen guter Führung vorzeitig auf freien Fuß gesetzt worden...«
Es war Maurice Mocco, ein korsischer Ganove, der ein umfangreiches Strafregister hatte.
»Was nehmen Sie, Herr Kommissar?... Und Sie, junger Mann? Ist das Ihr Sohn, Monsieur Maigret?«
»Einer meiner Inspektoren.«
»Sie haben es doch nicht etwa auf mich abgesehen?«
»Nein.«
»Was darf ich Ihnen geben?«
»Zwei Bier...« »Habe ich leider nicht...«
»Wasser...«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja. Kennen Sie Monsieur Charles?«
»Welchen? Es gibt mehrere. Der eine, der völlig kahl ist und um die siebzig sein muss, kommt einmal die Woche geschäftlich aus Bordeaux und nutzt die Gelegenheit, hier reinzuschauen... Der andere kommt unregelmäßiger ... Ziemlich klein, sehr elegant, sehr nett, immer hell gekleidet...«
»Korpulent?«
»Ja, korpulent könnte man es nennen...«
»Hat er schon mal ein Animiermädchen mitgenommen?«
»Meistens geht er allein fort, aber einmal ist ihm eine aufgefallen, Leila, die ist schon lange nicht mehr hier... Das war letzten Sommer ... Sie sprachen an dem Ecktisch da drüben miteinander... Leila schüttelte in einem fort verneinend den Kopf, und er redete auf sie ein... Als er ging, rief ich sie zu mir...
>Was ist denn das für ein Typ?< fragte sie mich.
>Ein feiner Kerl...<
>Er wollte mich unbedingt mitnehmen. Ich sollte ein paar Tage mit ihm auf dem Land verbringen... In einem Gasthaus... das einfache Leben, die frische Luft... Denkste!<
>Was wollte er dir dafür geben?<
>Zuerst zehntausend. Als er merkte, dass ich nicht anbiss, ging er auf fünfzehn-, dann auf zwanzigtausend hinauf. Er konnte es nicht fassen, dass ich ablehnte.<
Aufs Land, du liebe Güte! ... Was man heutzutage alles für Verrückte trifft!«
»Was ist aus Leila geworden?«
»Ich glaube, sie ist mit einem Ingenieur aus Toulouse verheiratet... Sie ist nie wieder hiergewesen...«
Auch Maigret brauchte jetzt frische Luft, denn in den Nachtclubs war es stickig, und das Parfum der Damen widerte ihn an. Sie gingen beide auf der menschenleeren Straße auf und ab.
»Mocco, der alte Lump, hat uns trotz allem eine wertvolle Auskunft gegeben. Monsieur Charles hat seine Eroberungen also ab und zu auch aufs Land mitgenommen ...«
»Ich glaube, ich weiß, was Sie sagen wollen...«
»Unter solchen Frauen gibt es alles Mögliche... Ich kannte mal eine, die war Doktor der Soziologie... Manche haben einen Liebhaber... Und mit diesen Liebhabern ist oft nicht zu spaßen...«
Es war zwei Uhr morgens. Maigret war überhaupt nicht mehr müde.
Zehn Minuten später stiegen die beiden Männer vor dem Cric-Crac in der Rue Clément-Marot aus dem Auto. Popmusik drang bis aufs Trottoir hinaus. Die Fassade war kunterbunt angestrichen, ebenso der Saal, in dem sich die Paare auf der Tanzfläche drängten.
Wieder an
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