Maigret und Monsieur Charles
und ihrem Mann gegeben. Er konnte also niemals ihr Lebensinhalt gewesen sein.
»Ich weiß, Sie haben nur Ihre Arbeit getan, aber Sie waren grausam zu mir...«
»Haben Sie mir nichts zu sagen?«
Sie antwortete nicht sofort.
»Geben Sie mir die Flasche... Wenn der Arzt mir die Spritze gegeben hat, ist es zu spät...«
Zögernd nahm er die Flasche von der Kommode.
»Kein Glas. Meine Hand zittert zu sehr, ich würde es verschütten...«
Sie trank aus der Flasche - ein trauriger Anblick in diesem Zimmer, das Luxus und Eleganz ausstrahlte.
Um ein Haar hätte sie die Flasche auf den Bettvorleger fallen lassen. Der Kommissar fing sie auf.
»Was werden Sie mit mir tun?«
War sie noch voll bei Verstand? Ihre Worte, die sie mit tonloser Stimme hervorpresste, ließen sich auf verschiedene Weise deuten.
»Was erwarten Sie denn?«
»Nichts. Ich habe nichts mehr zu erwarten. Ich will nicht mehr allein in diesem großen Haus sein...«
»Jetzt gehört es Ihnen...«
Wieder verzog sich ihr Mund.
»Ja... Es gehört mir... Alles gehört mir...«
Eine schmerzliche Ironie lag in diesen Worten.
»Wenn man mir das vorausgesagt hätte, als ich noch eine kleine Animierdame war, nicht wahr?«
Maigret schwieg und dachte nicht einmal daran, seine Pfeife aus der Tasche zu ziehen.
»Ich bin Madame Sabin-Levesque!«
Sie wollte lachen, brachte aber nur eine Art Schluchzer zustande.
»Sie können mich jetzt allein lassen. Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht mehr versuchen werde, mich umzubringen... Gehen Sie zu Ihrer Frau nach Hause... Denn Sie, Sie sind ja nicht allein!...«
Sie drehte ein wenig den Kopf, um ihn anzusehen.
»Sie haben sich einen schmutzigen Beruf ausgesucht, aber das ist ja wohl nicht Ihre Schuld...«
»Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht...«
»Keine Angst. Diesmal wird Doktor Bloy die Dosis erhöhen, und Gott weiß, wann ich wieder aufwache ...«
»Guten Abend, Madame.«
Maigret ging auf Zehenspitzen hinaus, beinahe wie man ein Sterbezimmer verlässt. Im Boudoir wartete Claire auf ihn.
»Hat sie mit Ihnen gesprochen?«
»Ja.«
»Hat sie Ihnen etwas anvertraut?«
»Nein. Ist der Doktor noch im Büro?«
»Ich glaube schon.«
Maigret ging zu ihm.
»Jetzt sind Sie dran... Ich warte hier auf Sie...«
Maigret stopfte seine Pfeife und ließ sich in einen Sessel fallen. Kurz darauf trat Claire ins Zimmer. Sie schien jetzt gegenüber dem Kommissar weniger feindselig.
»Warum gehen Sie so grob mit ihr um?«
»Weil ich überzeugt bin, dass sie weiß, wer ihren Mann getötet hat.«
»Haben Sie einen Beweis dafür?«
»Ich habe keinen Beweis, nein. Wenn ich einen hätte, hätte ich sie schon verhaften lassen.«
Sonderbarerweise protestierte das junge Mädchen nicht.
»Sie ist eine unglückliche Frau.«
»Das weiß ich wohl.«
»Jeder hier im Haus hasst sie, außer mir.«
»Das ist mir ebenfalls bekannt.«
»Man könnte meinen, sie hätte jemandem den Platz weggenommen, als sie Monsieur Gerard heiratete.«
»Haben Sie sie schon einmal begleitet, wenn sie ausging?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wohin sie ging?«
»Ins Kino.«
»Haben Sie je in ihren Taschen oder in ihrer Handtasche Kinokarten gefunden?«
Man sah ihr an, dass sie sich diese Frage niemals gestellt hatte.
»Nein«, erwiderte sie schließlich, nachdem sie überlegt hatte.
»Gab sie viel Geld aus?«
»Monsieur Gerard gab ihr alles, was sie wollte. Sie sagte mir, ich solle diese oder jene Handtasche bereitlegen und einen bestimmten Betrag hineinstecken...«
»Wieviel zum Beispiel?« »Manchmal ein paar hundert Francs, manchmal zwei oder dreitausend...«
Sie biss sich auf die Lippen.
»Das hätte ich Ihnen nicht sagen dürfen...«
»Warum nicht?«
»Das wissen Sie besser als ich... Sie kaufte so gut wie nichts in den Geschäften. Sie ließ die Lieferanten ins Haus kommen... Der Friseur war der einzige, den sie selbst aufsuchte...«
Der Arzt trat ins Büro und wandte sich an die Zofe:
»Diesmal können Sie, glaube ich, tief und fest schlafen... Ich habe ihr die Dosis verpasst, die man für Schlafkuren verwendet... Beunruhigen Sie sich nicht, wenn sie morgen früh nicht aufwacht... Ich werde am späten Vormittag vorbeischauen...«
»Danke, Herr Doktor.«
Sie entfernte sich, und der Arzt setzte sich und schlug die Beine übereinander.
»Hat sie Ihnen etwas Interessantes gesagt? In dem Zustand, in dem sie sich befand, spricht man bisweilen mehr als man möchte...«
»Sie hat mich unter anderem gefragt, was ich mit ihr zu tun
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