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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Garagen verwandelt worden waren.
    Eine Festung. So nannte Maigret solche Häuser in seinem tiefsten Inneren. Keine Concierge herrschte in der Loge, sondern ein Mann in Livree, und man roch hier bestimmt kein auf dem Herd brutzelndes Ragout. Die Treppe war sicherlich aus Marmor. Die Wohnungen weiträumig, die Zimmer sehr hoch und die Fußböden mit Teppichen bedeckt, die die Schritte dämpften.
    Diese Häuser in den schönen Vierteln hatten Maigret, als er zum erstenmal nach Paris kam, stark beeindruckt. Die Diener trugen damals noch eine gestreifte Weste, die Zofen ein Spitzenhäubchen, die Kinderschwestern, die den Kinderwagen in den Park schoben, englische Tracht.
    Oft hatte er seitdem in diesen Häusern Ermittlungen anstellen müssen, und er hatte immer die gleiche Verlegenheit gespürt, vielleicht auch eine gewisse Aggressivität.
    Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß die meisten Bewohner sozusagen unangreifbar waren. Wenn sie nicht selber einflußreiche Persönlichkeiten waren, hatten sie hochgestellte Freunde und drohten, wie Prieur jetzt, sich direkt beim Innenministerium zu beschweren.
    Janvier hatte das Tempo verlangsamt. Der Wagen hielt fast. Der Kommissar murmelte: »Die Hure!«
    Dann sagte er, denn er war sich seiner Ohnmacht bewußt, in einem resignierenden, bitteren Ton:
    »Fahr weiter! Zum Quai…«
    Am Quai des Orfevres, wo man das Recht hatte, jemanden vierundzwanzig Stunden, wenn nicht gar zwei oder drei Tage lang mit Fragen zu behämmern, irgend jemanden, nur nicht diese Leute, nur nicht Mademoiselle Nicole Prieur.
    Janvier schwieg, da er merkte, daß dies nicht der richtige Augenblick war, etwas zu sagen.
    »Ein junges Mädchen aus ihrer Welt reist bestimmt ins Ausland«, bemerkte Maigret plötzlich. »Sie hat also einen Paß, und infolgedessen gibt es in der Polizeipräfektur auch eine Karteikarte mit ihrem Foto.«
    Er kannte dieses Büro gut, in dem die Karteikarten in grünen Metallschränken alphabetisch geordnet waren. Wohl hundertmal hatte er sich an den Beamten gewandt, der sie griffbereit hielt. Es war ein gewisser Loriot, der nicht zögerte, ihm seine Schubladen aufzuziehen.
    Aber diesmal handelte es sich um Mademoiselle Prieur. Er mußte es anders anstellen. Aline hatte recht: Er brauchte so schnell wie möglich ein Foto des jungen Mädchens.
    »Hat Barnacle immer noch seine Leica?«
    »Er würde sich eher von seiner Frau trennen als von ihr.«
    »Hat er eine Frau?«
    Komisch, seit mehr als dreißig Jahren kannte Maigret Inspektor Barnacle, hatte aber nie etwas über sein Privatleben erfahren. Er glaubte, er sei Junggeselle. Mit seinem schwarzen und zu weiten Anzug, der an den Ellenbogen schon glänzte und dessen Ärmel ausgefranst waren, mit diesem Anzug, den er seit Jahren trug und an dem immer ein Knopf fehlte, mit der Miene eines Menschen, der unter der Last des Unglücks gebeugt geht, erinnerte er ihn eher an einen Witwer, der erst vor kurzem seine Frau verloren hatte und ihr immer noch nachtrauerte.
    Er gehörte schon der Kriminalpolizei an, als Maigret dort eingetreten war. Maigret hatte ihn ›Monsieur Barnacle‹ genannt und war bei dieser Gewohnheit geblieben, so daß auch die Inspektoren leicht ironisch ›Monsieur Barnacle‹ sagten.
    In seinem Büro klingelte er nach dem alten Diener.
    »Schicken Sie mir Monsieur Barnacle, wenn er im Hause ist…«
    In den Büros und den Fluren wurde es allmählich stiller. Es war bald sechs Uhr. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, und es regte sich kein Windhauch.
    »Sie wollten mich sprechen, Herr Kommissar?«
    »Setzen Sie sich bitte, Monsieur Barnacle.«
    Der Inspektor war nur zweieinhalb Jahre älter als er. Würde Maigret in zweieinhalb Jahren auch dieses Gesicht mit dem resignierenden Ausdruck haben, diese Augen ohne Freude, ohne Neugier, diese schlaffe, welke Haut, diese gekrümmten Schultern? War Barnacle nicht immer so gewesen? Er war verheiratet. Also war er mehr oder weniger verliebt gewesen. Er hatte einem jungen Mädchen den Hof gemacht, hatte ihr Veilchen geschenkt, war Arm in Arm mit ihr promeniert und immer wieder einmal stehengeblieben, um sie zu küssen.
    Maigret konnte es sich kaum vorstellen.
    »Er ist nicht nur verheiratet«, hatte Janvier ihm gerade gesagt, »man sagt, seine Frau amüsiert sich noch mit anderen. Sie kommt oft erst spät nach Hause, manchmal die ganze Nacht überhaupt nicht, und er muß sich nach dem Dienst das Abendessen machen und die Wohnung aufräumen.«
    Barnacle war bestimmt kein großes

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