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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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einstudierten Dialog sprechen und ihre Rollen bis in die Fingerspitzen beherrschen.
    Ein merkwürdiges Mädchen. Trotz ihrer braunen Haut und ihren braunen Augen stammte sie nicht aus dem Süden, sondern aus einem kleinen Dorf in Morbihan, von wo sie als Kindermädchen nach Paris gekommen war. Sie hatte ungefähr sechs Monate in einem sehr reichen Haushalt in Neuilly gearbeitet, wo man ihr ein kleines Mädchen von drei Jahren und ein noch in der Wiege liegendes Baby anvertraut hatte. Sie warf ihre beiden Tüten auf die Couch und fuhr immer noch mit dem übertrieben ordinären Akzent fort:
    »Was will der diesmal?«
    »Sprich nicht so boshaft über ihn, Aline. Du weißt genau, der Kommissar ist mein Freund.«
    »Dein Freund vielleicht, aber mir geht er auf die Nerven. Und ich hasse diesen abscheulichen Pfeifengeruch.«
    Maigret war nicht beleidigt und zog bedächtig an seiner Pfeife, während er sie musterte. Er nahm an, daß sie – wie ihre ehemalige Herrschaft – diese komfortable Wohnung hatte haben wollen, während Manuel auch mit dem dunklen Zwischenstock, in dem er über seinem Restaurant gehaust hatte, zufrieden gewesen wäre.
    Sie war gewiß auf Ansehen aus.
    »Kennst du jemanden, der im Staatsrat arbeitet?« fragte sie der Krüppel mit einem Anflug von Ironie.
    »Wenn er dich das fragt, antworte ihm, ich weiß nicht einmal, was das ist. Siehst du, wie er schon auf meine Tüten schielt? Es werden keine fünf Minuten vergehen und er wird wissen wollen, was darin ist. Vielleicht ist er nur ein Lüstling, der sich an Frauenwäsche aufgeilt.«
    Das Telefon läutete. Der Mann in seinem Rollstuhl zuckte zusammen, blickte den Apparat und dann den Kommissar an.
    »Hallo… Wie?… Ja, er ist hier… Es ist für Sie, Monsieur Maigret.«
    »Was habe ich dir gesagt? Demnächst wird er seine Post zu uns schicken lassen.«
    »Hallo!… Ja…«
    Es war Janvier, der aus einem kleinen Café in der Straße anrief.
    »Ich rufe Sie für alle Fälle an, Chef. Lourtie steht hier neben mir. Er hat sich von dem Mädchen abschütteln lassen. Als sie aus dem Hause kam, ist sie zur Metrostation Ternes gegangen. Sie hat ein Billett erster Klasse gelöst und ist auf den Bahnsteig der Linie hinuntergegangen, die zum Étoile fährt. Lourtie hat sie verfolgt. Als sie in den Wagen stieg, hat er ihn durch die andere Tür betreten. Genau in dem Augenblick, als die Türen sich wieder schlossen, ist sie auf den Bahnsteig gesprungen, und Lourtie hat sich nicht mehr hinauszwängen können. Er ist hierher zurückgegangen, und sie ist gerade in einem Taxi angekommen.«
    »Danke.«
    »Geht alles nach Wunsch?«
    »Nein.«
    Sie hatte sich auf die Couch neben die beiden Tüten gesetzt und die Beine übereinandergeschlagen. Sie betrachtete immer noch Manuel und nicht den Gast, den sie offensichtlich nicht anreden wollte.
    »Das ist der Dicke vom Dienst. Auch wenn sie sich immer wieder ablösen, ich kenne allmählich ihre Gesichter. Der von heute ist immer so rot, daß man denkt, er bekomme gleich einen Schlaganfall.«
    »Sag mir, meine Liebe…«
    »Wir haben nicht zusammen die Kühe gehütet. Papa, hast du ihm erlaubt, mich zu duzen?«
    »Soll ich Sie Mademoiselle nennen?«
    »Wäre es nicht korrekter, daß er mich Madame nennt?«
    Man machte sich über ihn lustig, und Manuel, stolz auf das Mädchen, das er zu dem gemacht hatte, was sie jetzt war, sah sie liebevoll an.
    »Ich versichere dir, Aline, er will uns nichts Böses.«
    »Warum haben Sie den Inspektor abgehängt, der Ihnen nachging?«
    »Es ist ihm wohl noch nie passiert, daß er es sich in letzter Minute anders überlegt hat?«
    Es war immer noch Manuel, zu dem sie sprach.
    »Eigentlich wollte ich in die Galeries Lafayette gehen, aber als ich dann in der Metro war, dachte ich, ich würde es ebensogut im Viertel bekommen. Er kann es sehen. Er kann es sogar befühlen. Ich werde dann meine Schlüpfer und meine Büstenhalter, ehe ich sie trage, nicht zu waschen brauchen.«
    Der kleine Krieg hatte schon vor ihrer Zeit begonnen. Er hatte zwischen Palmari und dem Kommissar angefangen, als der junge Zuhälter, noch schmächtig und ohne einen Sou, die Bar in der Rue Fontaine bar gekauft hatte. Wie zufällig geschah das wenige Wochen nach einem Raubüberfall in einem Juweliergeschäft.
    Zum erstenmal hatten die Verbrecher eine Methode angewandt, die sich bezahlt machen sollte, die aber damals geradezu tollkühn war. Zwei Männer zerschlugen die Scheibe mit einem Hammer, rafften die ausgestellten

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