Maigret verteidigt sich
nicht entläßt, falls ich richtig verstanden habe.«
»Genau.«
»So daß Sie mich verdächtigen, die Geschichte mit dem jungen Mädchen eingefädelt zu haben, mit der Nichte von ich weiß nicht mehr welchem hohen Tier…«
»Ich bin auf alle Fälle zu Ihnen gekommen.«
Es gab ein ziemlich bedrückendes Schweigen.
»Kennen Sie Leute, die zu so etwas fähig sind, Manuel?«
»Ich kenne einige, die Ihnen recht gern eine Kugel in den Bauch feuern würden, aber sie würden nie auf den Gedanken kommen, Sie in ein Sittlichkeitsverbrechen hineinzuziehen.«
Nachdem er sich geräuspert hatte, fügte er hinzu:
»Was mich betrifft, ich bin vielleicht kein Heiliger, aber ich schwöre Ihnen bei Alines Kopf, daß ich von der ganzen Geschichte nichts gewußt habe, ehe Sie herkamen. Alles andere wird man sehen…«
Maigret war überrascht, als er die Stimme der jungen Frau hörte. Diesmal wandte sie sich nicht an Manuel, und ihr Ton war nicht mehr so schrill und unangenehm. Der ordinäre – Akzent war fast verschwunden.
»Wenn Sie erzählen, was geschehen ist, würde mich das vielleicht auf eine Idee bringen… Wenn es sich um eine Frau handelt, ist es oft besser, sich an eine andere Frau zu wenden.«
Der ›Besen‹ wäre wahrscheinlich entrüstet aufgefahren, wenn er gewußt hätte, daß der Kommissar einer ehemaligen Prostituierten und einem Mann, der, ob zu Recht oder Unrecht, als einer der Bandenführer des Milieus galt, sein Herz ausschüttete.
In wenigen Sätzen erzählte Maigret sein Abenteuer. Aline lächelte nicht. Je weiter er in seinem Bericht kam, desto mehr verfinsterte sich ihre Stirn. Sie saß reglos auf dem Rand der Couch, die Beine immer noch übereinandergeschlagen und das Kinn in den Händen.
»Haben Sie nicht ihr Foto?«
»Nein.«
»Und sind Sie noch nicht am Boulevard de Courcelles gewesen, um sie unter vier Augen zu vernehmen?«
»Dazu bin ich nicht berechtigt.«
»Nun, mein Lieber. Sie muß verknallt sein!«
Maigret wandte sich ihr lebhaft zu, frappiert von ihrem Ausruf.
»Wieso verknallt?«
»Versetzen Sie sich an ihre Stelle… Ein junges Mädchen aus guter Familie, reich, das bei einem Onkel lebt, der ein wichtiger Mann ist. Sie hat Sie nie gesehen… Sie kennt Sie zweifellos nur, weil sie Ihren Namen in den Zeitungen gelesen hat… Dennoch spielt sie Ihnen eine Komödie vor, die schlecht ausgehen könnte. Sie kommt um acht Uhr morgens nach Hause zurück, weiß, daß ihr Onkel sie wütend erwartet und ihr unangenehme Fragen stellen wird… Wie alt ist sie, sagten Sie?«
»Achtzehn.«
»Das ist das richtige Alter. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dieses Mädchen ist bis über beide Ohren in einen Mann verliebt, der mit ihr macht, was er will. Er hat ihr diktiert, was sie sagen sollte… Der Tag, an dem Sie ihn fassen werden…«
Voller Bewunderung fügte sie hinzu:
»Wenn solche Mädchen sich verknallen, sind sie schlimmer als die Nutten. Was sagst du dazu, Papa?«
»Das gleiche wie du. Die Geschichte gefällt mir nicht.«
Hatten sie sich nicht, als Maigret auf der Treppe war, lachend angeblickt? Der Kommissar hätte schwören mögen, nein. Sie waren eher besorgt gewesen, als er sie verließ.
Jedenfalls hatte er nichts erfahren, und er war nicht gerade bester Laune, als er das Bistro suchte, in dem seine beiden Inspektoren auf ihn warteten. Er fand es gleich neben der Villa des Zahnarztes.
»Ein Bier.«
Er hatte Durst. Mochte Pardon auch dagegen sein. Er begann sich über das Gespräch mit dem Arzt in der Woche zuvor zu ärgern. Pardon hatte ihm geraten, sich zu schonen, hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er langsam ein Greis wurde, der bald nur noch zum Angeln in der Loire taugte. Der Polizeipräfekt wäre darüber entzückt gewesen.
»Verzeihen Sie, Chef«, stammelte Lourtie, der an der Theke lehnte.
»Ich konnte nicht voraussehen, daß die Frau…«
»Ist schon gut.«
»Soll ich noch bleiben?«
»Bis die Ablösung kommt… Komm, Janvier…«
Und ein wenig später auf der Fahrt:
»Fahr durch den Boulevard de Courcelles.«
Er betrachtete die Nummern. Das Haus Nr. 42 lag genau gegenüber dem großen Eingang zum Park Monceau, gegenüber den mit goldenen Pfeilen geschmückten Gittern. Man hörte das Kreischen von Kindern, die ein Wärter in blauer Uniform überwachte. Es war ein großes Haus. Neben der sehr breiten und hohen Einfahrt standen zwei Männer, und man konnte sich die Equipagen vorstellen, die forsch auf den Hof fuhren, auf dem die Ställe inzwischen in
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