Maigrets Nacht an der Kreuzung
Viertelstunde lang marschierte Maigret die Straße fünfzig Meter auf und ab und suchte ve r geblich nach etwas, das als Signal dienen konnte.
Bei den Michonnets war das Licht im ersten Stock erloschen. Nur das Haus der Drei Witwen war noch b e leuchtet, und man ahnte dort die Anwesenheit der Pol i zisten, die den Park umzingelten.
Eine Limousine raste vorüber.
»Was für einen Wagen fährt dein Chef?«
Im Osten kündigte sich die Dämmerung durch einen weißlichen Nebel an, der nur knapp über den Horizont reichte.
Maigret musterte die Hände des Mechanikes. In Reichweite dieser Hände gab es nichts, was ein Signal auslösen konnte.
Ein frischer Luftzug drang durch die kleine offenstehende Tür im Wellblechtor.
Maigret hörte einen Motor laufen und eilte auf die Straße hinaus. Er sah einen viersitzigen offenen Sportwagen, der nicht schneller als dreißig Stundenkilometer fuhr und anhalten zu wollen schien. Da plötzlich b e gann das reinste Feuerwerk!
Mehrere Männer schossen, die Kugeln prasselten nur so auf das Wellblech.
Scheinwerfer blendeten ihn, und so konnte er nur reglose Schatten, vielmehr Köpfe sehen, die über die K a rosserie hinauslugten. Dann heulte der Motor auf.
Fensterscheiben klirrten.
Die Schüsse, die immer noch aus dem Wagen kamen, zielten jetzt auf den ersten Stock des Hauses der Drei Witwen.
Maigret, der sich flach an den Boden gedrückt hatte, richtete sich auf. Sein Mund war trocken, die Pfeife war ausgegangen.
Er war sich sicher, am Steuer des Sportwagens, der in der Nacht verschwunden war, Monsieur Oscar erkannt zu haben.
8
Die Verschwundenen
D
er Kommissar hatte noch nicht die Straßenmitte erreicht, als ein Taxi erschien und mit quietschenden Bremsen vor den Zapfsäulen zum Stehen kam. Ein Mann sprang heraus, stieß gegen Maigret.
»Grandjean!« rief dieser überrascht.
»Volltanken, schnell!«
Der Taxichauffeur war bleich vor Aufregung, denn er hatte den Wagen, der für höchstens achtzig Stundenkilometer gebaut war, mit Tempo hundert dahingejagt.
Grandjean gehörte zur Straßenverkehrspolizei. Zwei weitere Beamte saßen bei ihm im Taxi. Jeder hielt einen Revolver umklammert.
In fieberhafter Eile wurde der Tank gefüllt.
»Sind sie schon weit?«
»Sie haben einen Vorsprung von fünf Kilometern.«
Der Chauffeur wartete auf den Befehl, weiterzufahren.
»Bleib hier!« befahl Maigret Grandjean. »Die beiden anderen können ohne dich weiter.«
Und ihnen riet er:
»Keine Unvorsichtigkeit! Wir schnappen sie auf jeden Fall! Bleibt ihnen nur auf den Fersen, das genügt!«
Das Taxi fuhr davon. Noch lange hörte man das laute Scheppern eines Kotflügels, der sich gelockert hatte.
»Erzähl, Grandjean!«
Und Maigret hörte ihm zu, während er weiter die drei Häuser beobachtete, auf die nächtlichen Geräusche lausc h te und den gefesselten Mechaniker im Auge b e hielt.
»Lucas rief mich an, weil ich den hiesigen Werkstattbesitzer, Monsieur Oscar, überwachen sollte. Ich habe ihn von der Porte d’Orléans an beschattet. Sie haben im Escargot, wo sie mit niemandem gesprochen haben, ausgi e big zu Abend gegessen. Dann sind sie ins Ambigu gega n gen. Bis dahin geschah nichts Interessantes. Um Mitte r nacht kamen sie aus dem Theater und haben sich von dort zum Chope-Saint-Martin aufgemacht. Sie kennen das Lokal? Im kleinen Saal im ersten Stock tre i ben sich immer ein paar zwielichtige Gestalten herum. Oscar ging hinein, als wäre er dort zu Hause. Die Kel l ner begrüßten ihn, der Wirt drückte ihm die Hand und fragte ihn, wie die G e schäfte liefen … Auch die Frau fühlte sich dort so wohl wie ein Fisch im Wasser.
Sie setzten sich an einen Tisch, an dem schon drei Männer und ein Mädchen saßen. Einen der Typen habe ich erkannt. Er ist Klempner und wohnt in der Nähe der Place de la République. Der andere war ein Trödler aus der Rue du Temple. Über den dritten weiß ich nichts, aber das Mädchen, das bei ihm war, ist bestimmt bei der Sitte registriert.
Sie tranken Champagner und lachten viel. Dann bestellten sie Krabben, Zwiebelsuppe und was weiß ich noch alles. Eine wahre Orgie, wie solche Leute sie eben zu feiern verstehen; man grölt herum, schlägt sich auf die Schenkel, singt hier und da ein Liedchen …
Es gab eine Eifersuchtsszene, weil Monsieur Oscar das Mädchen, das seine Frau nicht leiden konnte, zu sehr an sich drückte. Der Zwischenfall wurde schließlich mit einer neuen Flasche Champagner bereinigt.
Ab und zu kam der Wirt an den Tisch, um
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