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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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legte sich ganz flach auf ihren smaragdgrünen Bauch und blieb still in der Sonne liegen. Fast wunderte ich mich über ihr Vertrauen, denn als Junge war keine Eidechse vor mir sicher gewesen. Ihre Schwänze hatten sie in höchster Not abgestoßen, wenn ich sie fast schon erwischte, und schwanzlos hatten sie sich vor mir ins Gestrüpp gerettet.
    Trommelwirbel schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich sah zum Schlosshof hinunter, wo der dicke, glatzköpfige Alain, unser Schmied, mit einer Trommel vor dem Bauch zur Freifläche vor dem Springbrunnen ging. Er trommelte, als ob er etwas zu verkünden hatte. Kurz darauf öffneten sich die Türen der Bedienstetenhäuser und sie eilten auf den Platz und stellten sich in einer Reihe hinter dem Trommler auf. Morgenappell, dachte ich, aber dann öffnete sich das Tor zum Verlies unterhalb der Schlosstreppe und zwei Wachen brachten Jacques, den Gärtner, auf den Platz. Er war mit Lederriemen an den Händen gebunden und lamentierte über etwas, was ich jedoch hoch oben auf meinem Felsen nicht verstehen konnte. Sie führten ihn zum Springbrunnen und ließen ihn in das knöcheltief mit Wasser gefüllte Becken knien. Seltsam, dachte ich. Im selben Augenblick öffnete sich das breite Portal des Schlosses und meine Amme erschien, die gute alte Elise. Sie ging gebeugt und schob einen Rollstuhl, in dem ein Mann saß, den ich aus der Ferne nicht erkannte. Alles sehr seltsam, dachte ich wieder. Hinter der alten Elise mit dem Rollstuhl erschien meine Stiefmutter, steif und unnahbar, wie ich sie kannte. In einem dunklen Kleid mit Stehkragen ging sie neben einem bulligen Kerl, der eine schwere Goldkette um den Hals trug. In der rechten Hand hielt ihr Begleiter eine Lederpeitsche.
    Alain, glatzköpfig und dickbäuchig, trommelte jetzt wie verrückt. Die Bediensteten, die wie angewurzelt in einer Reihe hinter ihm standen, senkten die Häupter. Der bullige Begleiter meiner Stiefmutter ging ganz langsam die Treppe hinunter, genau zu Jacques, der nach wie vor – an den Händen gefesselt – im Becken des Springbrunnens kniete. Jacques gab jetzt keinen Ton mehr von sich. Ich sah gebannt zu. So etwas hatte es hier noch nie gegeben. Der Bulle war ganz dicht hinter Jacques und tauchte seine Lederpeitsche ins Wasser des Springbrunnens. Dann holte er aus und pitsch, pitsch, pitsch, sauste die Peitsche auf den nackten Rücken des Gärtners nieder. Ich hätte schreien können vor Wut. Der Mann im Rollstuhl vergrub sein Gesicht in beiden Händen. Pitsch, pitsch, pitsch, klatschte die Lederpeitsche auf Jacques Rücken. Der Koch wandte sich ab, das Zimmermädchen blickte zur Seite, nur diese Wachen, die ich noch nie gesehen hatte, beobachteten das Schauspiel und einer grinste sogar bis über beide Ohren.
    Ich habe die Schläge nicht gezählt, aber 50 müssen es bestimmt gewesen sein. Der Rücken von Jacques war rot, feuerrot sogar. Blut rann ihm über die geplatzte Haut und er kniete ganz still im Wasser des Springbrunnens. Alain fing jetzt wieder an, seine Trommel zu schlagen, die Bediensteten zogen ab, meine Amme schob den Mann im Rollstuhl über die Terrasse zurück ins Schloss, meine Stiefmutter ging zu den Wachen am Springbrunnen und sprach mit ihnen, dann wurden Jacques die Lederriemen an den Händen geöffnet und er durfte aufstehen. Ein Hüne von einem Kerl war das, unser Gärtner. Er erhob sich und überragte seine Wachen um Haupteslänge. Stolz schritt er quer über den Schlosshof und verschwand in einer der Wohnungen für die Bediensteten.
    Irgendetwas stimmte mit unserem Schloss nicht, das war mir inzwischen klar. Da war keine Freude in den Gesichtern der Angestellten gewesen, nur Angst und Beklemmung. Bleich und blass hatten sie der Auspeitschung des Gärtners beigewohnt, als ob sie hier alle gegen ihren Willen hinter den Elektrozäunen festgehalten wurden. Sogar unser alter Hofhund Philippe trottete müde über das Pflaster und legte sich in den Schatten einer Palme vor den Häusern der Bediensteten.
    Ich hatte für den Augenblick genug gesehen und zog mich zurück. Die Hitze auf dem Felsen wurde jetzt unangenehm. Ich trank etwas Mineralwasser und aß noch ein Stück Zwieback. Danach machte ich mich auf den Weg ins Dorf. Ich wollte herausfinden, was auf dem Schloss los war, und da ich die Elektrozäune im Moment nicht überwinden konnte, musste es andere Wege geben.

27
    Auf dem Weg ins Tal wurde mir klar, dass ich aussehen musste wie ein heruntergekommener Penner. Bartstoppeln im Gesicht, Salz

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