Mainfall
und eine Dame, so um die 40, kam herein. Ich roch eine Wolke von Parfum. Sie musste sich schnell noch frisch gemacht haben für den Chef. Flott sah sie aus: enger dunkler Rock, weiße Bluse, Perlenkette, blonde schulterlange Haare und blaue Augen. Sie lächelte den Oberbürgermeister an, zeigte ihre hübschen weißen Zähne und wirkte sehr freundlich, trotz ihrer etwas kantigen Gesichtszüge und der markanten Nase.
»Hallo, Frau Wundermüller, schön, dass Sie so schnell gekommen sind«, begrüßte der Bürgermeister sie. »Das ist der König von Aschaffenburg«, stellte er mich vor. »Vorsicht! Seinen Kampfhund hat er auch dabei.«
»Ist der süß«, sagte Frau Wundermüller, als sie Oskar sah. »Darf ich ihn anfassen?«
»Ja, gern, er macht nichts.«
Schon streckte sie Oskar ihre feine, schlanke Hand hin und er begann daran zu schlecken. »Wir haben auch einen Rauhaardackel. Den riecht er sicher«, sagte sie.
»Es gibt da ein kleines Problem«, unterbrach der Oberbürgermeister. Er berichtete von unserem Gespräch und machte einen Vorschlag: »Einen offiziellen Ausweis können wir ihm sicher nicht ausstellen, aber ein Ausweis für den König von Aschaffenburg müsste drin sein, sozusagen ein Künstlerausweis.«
»Ich weiß nicht«, zögerte die Angestellte, »das haben wir noch nie gemacht.«
»Es gibt immer ein erstes Mal«, lachte der Oberbürgermeister verschmitzt. »Ich nehme das auf meine Kappe.«
»Also, wir sind uns einig, Herr König«, sagte er dann zu mir. »Sie gehen mit Frau Wundermüller mit, lassen sich einen Ausweis ausstellen und nächste Woche unterhalten wir uns nochmals. Kommen Sie einfach am Dienstag um 10 Uhr wieder vorbei. Bis dahin werde ich einiges klären.«
Er drückte kräftig meine Hand, lächelte mich offen an und sagte noch: »Das kriegen wir schon.«
Mein Herz machte regelrechte Luftsprünge, als ich im Büro von Frau Wundermüller saß. Ich würde einen Ausweis haben, wenn auch nur einen Künstlerausweis.
Sie nahm meine Daten auf. Zuerst fragte sie mich nach dem Namen.
»König von Aschaffenburg.«
»Soll ich das wirklich schreiben?«
»Ich denke schon, sozusagen als Künstlername, wie der Oberbürgermeister es vorgeschlagen hat«, sagte ich. Dieser Hinweis auf das Stadtoberhaupt zeigte Wirkung. Meine weiteren Angaben trug sie ohne Nachfragen in ihren PC ein, wobei ihre langen Finger erstaunlich schnell auf der Tastatur tanzten.
Als Vornamen wählte ich Johann Friedrich. Vornamen, die ich unter den Bildern der Aschaffenburger Fürsten im Schloss gesehen hatte. Als Geburtstag gab ich den 17. Oktober 1971 an, den Tag meiner Rettung aus dem Main, und zwar vor 35 Jahren, da man mich in der Klinik auf 35 geschätzt hatte. Geburtsort: Aschaffenburg, Körpergröße: 186 cm, Augenfarbe: hellbraun, Wohnort: Schloss Johannisburg.
Wenn schon König, dann auch mit dem richtigen Wohnsitz, dachte ich mir.
»Bringen Sie bitte möglichst bald noch zwei Passbilder vorbei«, sagte Frau Wundermüller, nachdem sie mit allem fertig war.
Eine Woche später traf ich mich zum zweiten Mal mit dem Oberbürgermeister.
»Na, hat es mit dem Ausweis geklappt?«, begrüßte er mich.
»Ja, hier, sehen Sie mal«, antwortete ich und zeigte ihm meinen neuen Ausweis. ›Künstlerausweis‹ stand ganz klein mit Sternchen unter der Nummer des Personalausweises, sonst war alles völlig normal.
»Wohnort, Schloss Johannisburg – das ist gut«, lachte der Oberbürgermeister, als er die Eintragungen sah. »Wir werden Ihnen dort wohl ein Zimmer einrichten müssen.«
»Warum nicht?«, scherzte ich. »Als König steht mir das doch zu.«
Der Oberbürgermeister sagte mir, dass er mit der Bayerischen Schlösserverwaltung gesprochen habe. »Sie sind einverstanden, dass Audienzen im Schloss stattfinden, bei denen Geschichten vom König von Aschaffenburg erzählt werden. Ob wir dazu die Treppenhalle im ersten Obergeschoss nehmen oder den Ridingersaal, hängt vom Andrang ab. Das können wir jeweils kurzfristig noch festlegen«, sagte er. Der Oberbürgermeister war jetzt voll in seinem Element. »Das Stadttheater wird Ihnen ein Kostüm zur Verfügung stellen und ein Aschaffenburger Juwelier hat sich bereit erklärt, eine Krone zu fertigen. Natürlich unter der Bedingung, dass sein Geschäft als Förderer des 400-jährigen Jubiläums genannt wird.«
Zufrieden strich sich der Oberbürgermeister über das Kinn.
»Ich hoffe, Sie sind mit allem einverstanden. Ich bin mir sicher, dass es ein großer Erfolg
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