Mainfall
von Ulrich werden wir auch finden«, sagte sie und schaute gleich im Kleiderschrank nach. Kurz darauf stand sie strahlend wieder vor mir, hielt drei Krawatten vor ihre Brust und ich musste entscheiden, welche davon am besten passte. Glücklich lachte sie mich an, als ich eine hellblaue mit dunklen Streifen aussuchte. »Ja, die hätte ich auch genommen«, freute sie sich. »Die sieht so elegant aus.«
»Nimmst du Oskar mit zum Bürgermeister?«, fragte der kleine Paul. Er trat unruhig von einem Bein auf das andere, sah mich mit seinen großen blauen Augen an und seine Wangen waren vor Aufregung leicht gerötet.
»Ich weiß nicht, wahrscheinlich stört der nur«, zögerte ich.
»Aber er gehört doch zum König und er hat dich aus dem Main gerettet«, protestierte Paul. »Du musst ihn mitnehmen.«
»Na gut. Vielleicht hast du ja recht und der Bürgermeister mag Oskar.«
Auch Ulrich, dessen Zustand seit Wochen weder besser noch schlechter geworden war, freute sich für mich. »Das ist eine Gelegenheit für dich«, sagte er beim nächsten Besuch. »Du bist jetzt bekannt und vielleicht wird man dir endlich eine geregelte Arbeit anbieten.«
Pünktlich zum Termin meldete ich mich im Vorzimmer des Oberbürgermeisters. Oskar ging brav an der Leine neben mir und machte sofort Platz, als ich es ihm sagte.
»Sie sind also der König von Aschaffenburg. Habe schon viel von Ihnen gehört«, begrüßte mich die Vorzimmerdame. »Und was für einen süßen Dackel Sie haben. Bitte, wenn Sie noch einen Moment Platz nehmen.«
Wenig später ging die Tür auf und Herr Graf schaute ins Vorzimmer.
»Sie sind sicher Herr … äh, … Sie sind sicher der König von Aschaffenburg«, sagte er. »Treten Sie doch bitte ein.«
Der Oberbürgermeister war ein kräftiger Mann, den man sich gut als Graf vorstellen konnte. Seine dunklen Haare passten zu seinem schwarzen Anzug, die braunen Augen musterten mich freundlich.
»Ist ja eine tolle Geschichte, die man mir da berichtet hat«, begann er das Gespräch.
Dann bat er mich, ihm nochmals alles selbst zu erzählen, damit er wirklich Bescheid wisse. »Man hört so vieles, aber oft stimmt nur die Hälfte.«
Als ich von meiner Übernachtung im Schloss berichtete, lachte er herzhaft. »Ja, das hat man mir zugetragen und deshalb habe ich Sie eingeladen«, sagte er. »Wissen Sie, wir feiern im kommenden Jahr das 400-jährige Jubiläum unseres Schlosses. Und da könnten wir einen König für die Kinder brauchen.«
»Einen König für die Kinder …?«, fragte ich ungläubig.
»Ja«, sagte er , »für die Kinder.« Natürlich habe es in Aschaffenburg bedeutende Fürsten gegeben, aber niemals einen König, erläuterte der Oberbürgermeister. Trotzdem sei die Idee mit dem König eigentlich sehr gut. Kinder wollten immer Könige oder Prinzessinnen sehen, so wie sie das aus den Märchen gewohnt seien. Und da ich zudem als Geschichten-Erzähler bekannt sei, könne man daraus für die 400-Jahr-Feier sicher etwas machen.
»Vielleicht schon«, sagte ich. »Aber wie haben Sie sich das vorgestellt? Soll ich mich als König verkleiden?«
»Genau das dachte ich«, lachte er. Es fiel mir auf, dass er überhaupt viel lachte. Ein sehr freundlicher Mann war das, der mir vom ersten Augenblick an sympathisch war.
»Sie schlüpfen in ein entsprechendes Kostüm. Im Stadttheater haben wir sicher etwas Passendes. Danach geben Sie Audienzen im Schloss und erzählen den Kindern Geschichten. Wir drucken das in unseren Programmen. Das wird sicher eine Attraktion.«
Er war jetzt Feuer und Flamme für seine Idee. Begeisterung sprühte aus seinen dunklen Augen, er lachte mich freundlich an und machte mir wegen Oskar Komplimente.
»Ihren süßen Dackel nehmen Sie natürlich mit«, schlug er vor. »Den werden die Kinder besonders mögen.«
»Nun gut, aber ich muss Sie dafür um einen Gefallen bitten«, warf ich ein.
»Um einen Gefallen? Nein, Sie bekommen natürlich etwas bezahlt«, fiel er mir ins Wort. »Ich dachte an 100 Euro pro Audienz. Wenn es gut läuft, kann es auch etwas mehr sein.«
»Das meine ich nicht, Herr Oberbürgermeister«, sagte ich. »Mir geht es nicht ums Geld. Mir geht es um einen Ausweis. Ich brauche endlich Papiere.«
»So, so, Papiere«, murmelte Herr Graf nachdenklich. »Da kann ich eigentlich nichts machen. Aber warten Sie mal.« Er wählte eine Nummer. »Graf«, meldete er sich. »Können Sie bitte mal kurz in mein Büro kommen, Frau Wundermüller?«
Wenig später ging die Tür auf
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