Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
Vom Netzwerk:
reden.
    »War ganz nett«, hielt ich mich bedeckt. »Hamburg ist wirklich eine tolle Stadt.«
    Paul hatte ich einen Kompass von meiner kleinen Reise mitgebracht und bald war er damit im Garten, um die Richtung zu peilen. Corinna spielte ihre Musik-CD, die ich für sie gekauft hatte, und Isabell rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ich war mir ganz sicher, dass sie mich am liebsten ins Kreuzverhör genommen hätte. Irgendwann, als die Kinder schon im Bett waren, rückte sie endlich mit ihren Fragen heraus. Sie wollte wissen, ob ich Natalie erkannt hatte, was sie über mich wusste, ob ich sie wieder besuchen würde. Kaum hatte ich eine ihrer Fragen beantwortet, stellte sie die nächste. Ich verriet ihr natürlich nicht alles, vor allem erzählte ich nichts über meine Nächte mit Natalie. Ich ließ sie in dem Glauben, dass ich mir nicht ganz sicher sei, ob ich Natalie wirklich kannte, und darüber schien sie sehr erleichtert zu sein.
    »Am besten bleibst du hier bei uns, da weißt du, was du hast«, sagte sie und lächelte mich an. »Aschaffenburg braucht seinen König und wir brauchen dich.«
     
    Als König von Aschaffenburg hatte ich tatsächlich großen Erfolg. Je wärmer es wurde, desto mehr schwoll die Zahl der Besucher an. Jeden Sonntag pünktlich um 11 Uhr und um 14 Uhr hielt ich Audienz im Aschaffenburger Schloss und erzählte den kleinen und großen Besuchern eine Stunde lang Geschichten. Manchmal war es mir schon lästig, im purpurroten Umhang und mit der Krone aufzutreten. Aber sobald ich die Kinder mit roten Wangen sah, wie sie mit offenen Mündern vor mir saßen und begeistert Beifall klatschten, machte es mir jedes Mal großen Spaß, den König zu spielen. Für die Kleinen war ich ja wirklich der König. Aufgeregt kamen viele am Ende der Audienz zu mir und baten um Autogramme. ›König von Aschaffenburg‹ schrieb ich auf Prospekte, Bierdeckel oder sogar Schulhefte und blickte dabei in leuchtende Augen. Manchmal schrieb ich den Namen des Kindes hinzu, was dazu führte, dass sie besonders strahlten und das Autogramm mit meiner königlichen Unterschrift sofort Mutti und Papa oder Oma und Opa zeigten.
     
    Zum Glück fielen mir ständig neue Geschichten ein. Allerdings machte ich eine interessante Entdeckung: Am besten gerieten sie, wenn ich sie im Schloss erfunden hatte. Manchmal ging ich deshalb mit einem kleinen Notizblock durch die Zimmerfluchten und überlegte. Die Leute tuschelten dann: »Hast du gesehen, der König.« Dazu zeigten die Kinder mit den Fingern auf mich. »Er denkt über seine Geschichten nach.«
    Ich hatte bei meinen Audienzen erwähnt, dass die besten Geschichten im Schloss wohnten, dass man sie nur zum Leben erwecken müsse, da sie dort schliefen und auf ihren Entdecker warteten. Die Kinder glaubten das und ich glaubte es, ehrlich gesagt, auch, denn nirgendwo fiel mir mehr ein als in diesem Schloss.
    ›König braucht Zimmer im Schloss‹, titelte im April die örtliche Tageszeitung. Ich hatte der Zeitung ein Interview gegeben und die Sache mit den Geschichten erwähnt, welche im Schloss schliefen. Sofort schaltete sich der Oberbürgermeister ein und bereits Ende des Monats konnte ich das Turmzimmer im zweiten Obergeschoss des Aschaffenburger Schlosses beziehen. Hier hatte man einen zusätzlichen Schreibsekretär für mich aufgestellt, der zum Stil der vorhandenen Möbel passte, und hatte für Schreibtischlampe und Laptop gesorgt, sodass ich gut an meinen Geschichten arbeiten konnte.
    Einzige Bedingung des Oberbürgermeisters war es, dass ich nur als echter König dort arbeiten dürfe, also mit königlichem Umhang und mit Krone. »Wir werden das Turmzimmer durch Kordeln für die Besucher sperren. Als König muss er es aber gestatten, dass die Besucher einen Blick über die Absperrkordeln auf ihn werfen, auch wenn er bei der Arbeit ist«, lachte er. »Das passt wunderbar zu unserem 400-jährigen Schloss-Jubiläum.«
    Natürlich fand eine Einweihungsfeier mit Presse statt. Nach meiner 14-Uhr-Audienz am dritten Sonntag im April zog ich feierlich zum Turmzimmer, begleitet von allen Besuchern und der Presse. Anschließend überreichte mir der Oberbürgermeister symbolisch den Schlüssel für das Turmzimmer, ich nahm vor dem Schreibsekretär Platz und verteilte Autogramme.
    »Ist das nicht toll?«, freute sich der Oberbürgermeister. »Unser Schloss lebt, die Stadt lebt, das ist Kultur zum Anfassen.«

11
    Am nächsten Sonntag, bei meiner Audienz im Schloss, passierte etwas

Weitere Kostenlose Bücher