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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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über einen Sessel und ging auf die junge Frau im Jeanskostüm zu, die ganz allein hinter der goldenen Absperrkordel stand.
    »Ich freue mich sehr«, sagte sie und streckte mir ihren hübschen Mund entgegen, der einen Kuss von mir erwartete.
    »Ich auch«, sagte ich, »ich weiß deinen Namen aber leider nicht mehr.«
    Sie sah mich verwundert an und konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. »Melanie. Melanie aus Straßburg.«
    »Melanie«, murmelte ich und ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen. Ja, diesen Namen kannte ich. Meine Stimmbänder erinnerten sich. Melanie hatten sie schon oft gesagt, tags und nachts und immer wieder.
    »Und du kennst Oskar?«, fragte ich sie.
    »Natürlich kenne ich Oskar. Du hattest ihn doch immer bei dir.«
    »Wo hatte ich ihn bei mir?«, fragte ich.
    »Wenn du mich in Straßburg besuchtest. Du bist mit dem Zug gekommen und Oskar war immer mit dabei.«
    Ich konnte es nicht fassen. Sie erzählte da mit einer Selbstverständlichkeit aus meiner Vergangenheit. Dabei saß Oskar neben ihr und schaute an ihr hoch, als ob er schon immer so neben ihr gesessen hätte. Ich zitterte innerlich, hätte sie am liebsten sofort in die Arme genommen, wollte ihr viele Fragen über mich stellen, wusste aber nicht einmal, wo ich anfangen sollte.
    »Was sollen wir tun? Wie lange hast du Zeit?«, fragte ich sie.
    »Ich wollte nur sehen, wie es dir geht«, erklärte sie. »Heute Abend fahre ich wieder zurück. Morgen früh muss ich zur Arbeit.«
    »Wo arbeitest du?«
    »Im Kaufhaus Galeries Lafayette, das weißt du doch«, antwortete sie.
    Doch ich wusste nichts. Obwohl mir Melanie so bekannt vorkam wie kein anderer Mensch auf der Welt, konnte ich mich an keine Einzelheiten erinnern. Ich dachte krampfhaft nach, versuchte mich zu erinnern, wo sie wohnte, versuchte mich zu erinnern, woher ich sie kannte – ohne Erfolg.
    »Ich kann mich leider an nichts mehr erinnern«, sagte ich, »weiß nicht einmal meinen Namen.«
    »Aber du heißt doch Bertram«, sagte sie.
    »Und weiter? Wie ist mein Nachname? Weißt du ihn?«
    »Mhmm …«, sie zögerte. »Nein, tatsächlich nicht. Du hast nie viel von dir erzählt. Ich durfte dich nur auf dem Handy anrufen und habe dich nie besucht.«
    »Siehst du«, sagte ich, »und das ist jetzt mein Problem. Es hat sich niemand gemeldet, der mich wirklich kennt und mir sagen kann, wer ich bin. Es ist schrecklich, Melanie.«
    »Aber ich kenne dich doch und ich liebe dich«, protestierte sie. »Wenn ich nur wüsste, wieso du so abweisend bist. Nicht einmal einen Kuss hast du mir gegeben.«
    Sie kam wieder ganz dicht auf mich zu, ich sah das Leuchten in ihren dunkelbraunen Augen, die wie zwei Sterne funkelten, und dann spürte ich ihre Lippen auf den meinen und wusste, dass ich sie nicht zum ersten Mal küsste.
    »Siehst du«, erklärte sie stolz. »Das ist deine Vergangenheit.«
    Ich konnte ihr natürlich schlecht erzählen, dass es da auch noch Natalie in Hamburg und einige weitere Zuschriften gab, die ich erhalten hatte.
    »Ja, du musst mir bitte alles über unsere Vergangenheit erzählen«, antwortete ich nur und küsste sie zum zweiten Mal.
    Wir verließen das Schloss. Die Angestellte an der Kasse sah uns erstaunt nach, wahrscheinlich weil wir Französisch sprachen. Sie kannte mich und wunderte sich vielleicht auch über meine hübsche Begleitung.
    »Wollen wir zum Pompejanum spazieren?«, fragte ich Melanie.
    »Ich weiß nicht …, wenn es da schön ist. Eigentlich ist es mir nicht wichtig, wo wir hingehen«, antwortete sie. Dann sah sie mich unsicher an. »Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht verfolgt werden. Seit du verschwunden warst, habe ich immer das Gefühl, dass zwei Männer hinter mir her sind: Dunkle Haare, dunkle Hautfarbe, südländische Typen, vielleicht aus Algerien. Sie lassen mir keine Ruhe.«
    »Und du meinst, dass sie auch nach Aschaffenburg gekommen sein könnten?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Melanie leise und sah sich unsicher um. »Ich habe so ein komisches Gefühl.«
    Wir gingen die Treppen hinab zur Mainterrasse und blieben eine Zeit lang an der Brüstung der Wappenmauer des Schlosses stehen. Ein Lastkahn tuckerte vorbei, Ausflügler saßen im Biergarten des Schlosskellers unter alten Bäumen und ein Stück flussabwärts war das Pompejanum zu sehen. Freundlich lag es in der Sonne, hoch über dem Fluss und den Weinbergen. Da wächst also der berühmte Pompejaner, den mir der Oberbürgermeister angeboten hat, dachte ich. Durch den Kapuzinergang,

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