Mainfall
und ich war froh, als ich endlich unter der Dusche stand. Ich rasierte mich in Windeseile, zog meinen dunklen Anzug an, mit dem sie mich aus dem Main gefischt hatten, und erschien etwas verspätet zum Frühstück. Die ganze Familie saß bereits am Tisch. Alle in Schwarz, sogar Corinna und der kleine Paul. Nur ein Platz war noch frei, direkt neben Isabell.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte ich und setzte mich. Isabell sah gut aus in ihrem schwarzen Kostüm, zwar ziemlich blass, aber sehr hübsch. Wäre der Anlass nicht so traurig gewesen, hätte ich mich sicher gefreut, neben ihr zu sitzen.
Die Gespräche drehten sich nur um Ulrich und sein gutes Herz, und je mehr er gelobt wurde, desto schlechter kam ich mir vor. Er hatte sich wirklich bis zum letzten Atemzug für seine Familie eingesetzt. Aber ich? Unsicher begleitete ich Isabell und die Kinder zum Friedhof. Während der Aussegnungsfeier saß ich neben ihr und blieb an ihrer Seite auf dem Weg zum Grab, so wie sie es gewünscht hatte. Ich hatte das Gefühl, ihr das jetzt schuldig zu sein. Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, klammerte sich Isabell an meiner Hand fest und ließ ihren Tränen freien Lauf. Auch ich war zutiefst bewegt und fühlte, wie auch mir die Tränen über die Wangen rannen.
Ich trat mit Isabell an Ulrichs Grab, hielt sie am linken Arm, dachte einen Moment lang, dass sie sich in das Grab stürzen würde, so verzweifelt, wie sie war. Aber ich hielt sie fest und zog sie sanft zurück vom Rand des Grabes. Von Tränen überwältigt, warf sie einen Strauß roter Rosen auf den Sarg, einen letzten Gruß, mit dem sie Ulrich ihre Liebe zeigte. Es war mir plötzlich nicht mehr unangenehm, neben Isabell zu stehen. Ich war sogar froh, sie an der Hand zu halten. Selbst in ihrer Schwäche gab sie mir Kraft, ein Stück Geborgenheit für mich, den Namenlosen. Ich fühlte, dass ich solche Beerdigungen kannte. Das Läuten der Glocken, das Gemurmel der Betenden, der Gesang der Trauergemeinde, die Schritte der Trauernden auf dem Kies der Friedhofswege, das Schluchzen der Angehörigen bei den Abschiedsworten am Grab – das alles kannte ich. Ich drückte Isabells Hand. Sie drückte zurück.
»Es wird schon wieder«, sagte ich.
Sie schluchzte nur. Dann standen wir etwas abseits, sahen zu, wie die Trauergemeinde am offenen Grab vorbeizog, wie die Blumensträußchen geworfen wurden, bis der Sarg mit einem Meer von Blumen bedeckt war. Wenn man jung stirbt, ist die Trauer größer, dachte ich. Viele Gäste kamen zu Isabell und sprachen ihr das Beileid aus. Einige schüttelten auch mir die Hand. Manche sahen mich dabei seltsam an und ich konnte mir vorstellen, was sie dachten. Ab und zu hörte ich auch: »Ist das nicht der König von Aschaffenburg?« Dann freute ich mich innerlich, obwohl ich mir nichts anmerken ließ.
»Ich glaube, es wird bald regnen«, sagte irgendwann Ulrichs Vater, der hinter uns stand.
Ich sah nach oben. Dunkle Wolken hatten sich am Himmel zusammengezogen, die sich dick und aufgeplustert über den Friedhof schoben. An den Rändern waren sie weiß und wurden von der Sonne etwas angeleuchtet. Wenig später fielen die ersten Tropfen. Nachdem die letzten Trauergäste sich verabschiedet hatten, hasteten auch wir zum Parkplatz.
»Danke, dass du bei mir geblieben bist«, sagte Isabell auf der Fahrt zum Restaurant, in dem der Leichenschmaus stattfinden sollte.
Ich spürte, dass sie mich mochte, und fragte mich, ob das gut war. Bisher hatte Ulrich zwischen uns gestanden, aber jetzt? Er hatte mich förmlich in ihre Arme getrieben, mich gebeten, dass ich mich um sie kümmern sollte, was immer das auch bedeutete.
Ich nahm auch im Restaurant neben ihr Platz und spielte meine Beschützer-Rolle.
Später am Nachmittag kehrten wir zum Haus zurück. Alle Trauergäste hatten sich verabschiedet, nur die Eltern von Ulrich blieben noch.
»Wir wollen etwas mit Paul und Corinna spielen«, hatte Ulrichs Vater gesagt, den ich vom ersten Augenblick an mochte. Er wusste, was im Moment wichtig war, und hatte große Ähnlichkeit mit Ulrich.
»Isabell muss erst einmal zu sich selbst finden«, sagte er. »Da ist es gut, wenn wir noch ein paar Tage für die Kinder da sind.«
Mir war das sehr recht, denn insgeheim fürchtete ich mich davor, plötzlich ganz allein mit Isabell unter einem Dach zu wohnen. Zwar lebte ich schon seit Monaten bei ihr, allerdings war Ulrich doch immer mehr oder weniger präsent gewesen. Das hatte sich mit seinem Tod
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