Mainfall
feierlicher Gesang, der aus der vielfachen Wiederholung von ›Nun danket alle Gott‹ bestand. Mir rollten wieder einige Tränen über die Wangen.
»Jetzt sind es Freudentränen«, hörte ich es aus der ersten Reihe. »Der König weint Freudentränen.«
Irgendwie fühlte ich mich anschließend besser. Es war, als ob sich Melanie von mir verabschiedet hatte. Ich glaubte ganz sicher, dass sie im Raum war und dass sie mir durch das kleine, schwarzhaarige Mädchen ein Zeichen geben wollte. Meine Seele beruhigte sich. Ich gab den Kindern Autogramme und begleitete anschließend Isabell nach Hause.
»Das war heute eine besonders schöne Geschichte«, sagte sie. »Man könnte meinen, du seist wirklich traurig gewesen.«
»Bin ich ja auch«, antwortete ich. »Ich sehe einfach keinen Ausweg mehr. Ich sitze hier fest, weiß nicht, wer ich wirklich bin, muss mich beim Kommissar melden, wenn ich verreisen möchte, und erzähle jeden Sonntag den Kindern Geschichten. Ist das ein Leben?«
»Manche wären froh darüber«, sagte Isabell leise.
Ich weiß nicht, ob sie damit Ulrich meinte oder vielleicht die Fließbandarbeiter in einer Fabrik, aber irgendwie hatte sie natürlich recht.
Wir gingen zu Fuß durch die Steingasse.
»Hast du Lust auf ein Eis?«, fragte ich sie beim italienischen Eiscafé, wo Tische und Stühle in der Fußgängerzone aufgestellt waren.
»Ja, gern«, sagte sie, »ich habe schon lange keins mehr gegessen.«
Isabell trug immer noch Schwarz. Derzeit, am Sonntagnachmittag, fiel sie damit nicht besonders auf, zumal ihr Kostüm flott aussah und ihre kurvige Figur besonders zur Geltung brachte. Sie aß einen Kirschbecher, auf dem sich eine strahlend weiße Sahnehaube türmte. Sie wirkte sehr ausgelassen und löffelte voller Genuss ihr Eis mit Sahne, schleckte sich genießerisch über die Lippen, sodass man sah, dass es ihr schmeckte.
»Ach, man genießt das Leben viel zu wenig«, seufzte sie. »Schön, dass wir mal zusammen ein Eis essen.«
Dabei betonte sie dieses ›wir mal zusammen‹ so auffallend, dass ich lieber nichts dazu sagte.
Immer wieder grüßten mich Passanten.
»Hallo, Herr König«, sagten manche, die ich allerdings nicht kannte.
»Du mauserst dich zur Berühmtheit«, freute sich Isabell.
»Das kann man sagen, aber was hab ich davon? Manchmal wird mir der ganze Rummel schon zu viel.«
Gerade, als ich das gesagt hatte, stieß mich Isabell an und zischte: »Dreh dich nicht um. Bleib ganz still sitzen.«
Ich gehorchte aufs Wort und starrte geradeaus.
»Dein Schuh ist offen. Binde ihn zu«, presste Isabell jetzt hervor.
Ich bückte mich und sah erstaunt unter den Tisch. Meine Schuhe waren beide fest gebunden. Ich wusste nicht, was sie meinte.
»Bleib unten«, zischte sie.
Was nur in sie gefahren ist, fragte ich mich. So energisch kannte ich sie gar nicht. Ich sah unter den Tischen zwischen all den verschiedenen Beinen hindurch, konnte aber nichts Besonderes entdecken. Dass Isabells Beine wohlgeformt waren, sah ich auch, aber das hatte ich vorher schon gewusst. Also tauchte ich langsam wieder auf.
»Was soll das, Isabell?«, wollte ich von ihr wissen. »Treibst du Scherze mit mir? Meine Schuhe sind beide zu.«
Sie sah plötzlich ganz blass aus und stand auf, obwohl wir unser Eis noch nicht ganz aufgegessen hatten. Ob ihr schlecht war?
»Komm schnell«, flüsterte sie, »ich erklär es dir später.«
Sie legte ihren Arm um meine Hüfte und zog mich mit sich fort. Zuerst durch die Steingasse, dann zum Herstallturm und von dort in den Park Schöntal.
»Was ist denn los?«, fragte ich unterwegs.
»Bitte, nicht hier. Lass uns schnell nach Hause gehen. Ich erklär es dir später.«
Wir hasteten durch den Park, vorbei am Ententeich zum Hofgarten, wo die Gäste im Biergarten saßen. Endlich verlangsamte Isabell ihre Schritte. Sie sah sich vorsichtig um und zog mich in das Hofgarten-Restaurant hinein, wo wir am runden Stammtisch Platz nahmen. Kein Mensch saß innen, alle genossen das schöne Wetter im Biergarten vor dem Lokal, aber Isabell wollte sich drinnen verstecken.
»Wir warten hier eine Zeit lang«, sagte sie leise. »Ich hoffe, wir haben die Typen abgehängt.«
»Welche Typen?«
»Die Männer, die uns bei der Eisdiele beobachtet haben. Dort kamen zwei dunkelhaarige Gestalten vorbei, die in den letzten Tagen um unser Haus geschlichen sind. Ich glaube, dass sie dich verfolgen«, sagte Isabell. »Rotfux lässt jetzt verstärkt Streife in unserem Viertel fahren. Seitdem sind sie
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