Mainfall
mir.
»Also, wir bleiben in Kontakt, Herr König. Und wenn Sie unbedingt wieder verreisen wollen, dann lassen Sie es mich wissen.«
»Mach ich, Herr Kommissar«, sagte ich und schüttelte ihm die Hand. Ich hatte nach unserem Gespräch über das Elsass das Gefühl, dass mich Rotfux jetzt besser verstand. Deshalb fasste ich Mut und gestand ihm: »Venedig würde ich gern besuchen, um herauszufinden, warum ich da mit all den Frauen war.«
Rotfux lächelte. »Ja, ja, Ihre Frauen. Sie scheinen ja einige gekannt zu haben. Man könnte direkt neidisch werden.«
Er wirkte plötzlich richtig menschlich und ich hatte den Eindruck, dass er nichts gegen Venedig einzuwenden hätte, wenn ich ihn darum bitten würde.
Die nächsten Tage waren sehr schlimm für mich. Oft musste ich an Melanie denken. Ich sah sie zu mir nach oben winken, sah ihr glückliches Lachen und hörte diesen Schlag, diesen schrecklichen Schlag, der in einem Augenblick ihr Leben beendete. Und das Schlimmste war: Ich konnte mit niemandem darüber reden.
Isabell fragte mich natürlich, wie es in Straßburg gewesen war, sie quälte mich mit unendlich vielen Fragen, aber ich erzählte ihr nichts von Melanie und erst recht nichts von ihrem Tod. Besonders hart war es, als ich am Sonntag wieder der König von Aschaffenburg war und Audienz im Schloss hielt. Eine Absage der Veranstaltung kam für mich natürlich nicht infrage. Als König hielt man sein Wort und erfüllte seine Pflichten. So fand die Audienz statt und Isabell saß in der ersten Reihe, wie immer in den letzten Wochen. Aber der Stuhl drei Plätze neben ihr blieb leer. Als ob der Himmel diesen Platz für Melanie freihalten wollte, blieb ausgerechnet dieser Platz, auf dem sie noch vor einer Woche gesessen hatte, unbesetzt. Keiner legte einen Blumenstrauß auf ihren Stuhl, achtlos gingen sie an ihrem Platz vorbei, nur ich wusste, dass sie dort saß und noch einmal meine Geschichten hören wollte. Ich war so gerührt von dem Gedanken, dass mir eine Träne über die Wange rollte. Ja, nicht nur eine Träne rollte, nein, gleich mehrere flossen, sodass ich mein Taschentuch aus dem purpurnen Königsmantel ziehen musste, um mir über die Augen zu wischen.
»Der König weint«, hörte ich die Kinder aus der ersten Reihe flüstern.
»Seht nur, er weint. Er hat sich gerade die Augen mit einem Taschentuch abgewischt.«
Für die Kinder war das etwas Besonderes und so erzählte ich ihnen die Geschichte vom traurigen König, der seine liebste Prinzessin verloren hatte. Natürlich war sie nicht von einem Auto überfahren worden, sondern von einer bösen Fee entführt, aber der König war sehr betrübt und weinte jeden Tag. »Nun ließ der König die Prinzessin im ganzen Königreich suchen und sogar über die Grenzen des Reiches hinaus – doch nirgendwo war die Prinzessin zu finden.«
Die Kinder lauschten gespannt und einige blickten beinahe genauso verzweifelt drein wie ich. Geweint hat zum Glück keines, das wäre auch zu schlimm gewesen, aber ich glaubte, einige waren nahe daran, in Tränen auszubrechen.
»Doch eines Abends«, erzählte ich weiter, »als der König wieder weinend mit seinem Hund am Brunnen des Schlossparks saß, kam ihm die rettende Idee. Er ließ Boten ins ganze Reich aussenden, die Folgendes verkünden sollten: Der junge Mann, der die Prinzessin finden und befreien würde, sollte sie zur Frau bekommen und einmal sogar König werden. Nun könnt ihr euch sicher denken, wie die Geschichte endete. Genau: Ein hübscher, stolzer Prinz aus dem Nachbar-Königreich fand die Prinzessin in einem dunklen Zauberwald und führte einen Kampf gegen die böse Fee. Dann brachte er die Prinzessin zum König. Ach, was war das für eine Freude! Das ganze Volk feierte drei Tage lang und der König gab ein großes Fest zu Ehren des mutigen Prinzen.«
Die Kinder saßen begeistert vor mir. Ihre eben noch ängstlichen Gesichter strahlten jetzt und man sah ihnen die Freude über das glückliche Ende der Geschichte an. Vor lauter Aufregung konnten sie kaum noch ruhig sitzen und dann geschah es: Ein kleines, dunkelhaariges Mädchen sprang in der ersten Reihe auf, rannte zu mir, jubelte über die Rettung der Prinzessin und setzte sich vor lauter Aufregung auf den freien Platz von Melanie.
»Ja, wir wollen uns alle freuen, dass sie gerettet ist, und ein Lied singen«, schlug ich vor. »Kennt ihr ›Nun danket alle Gott‹?«
»Ja«, brüllten die Kinder und obwohl sie den Text nicht konnten, ergab sich ein
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