Mainfall
Tiefe Falten durchfurchten ihr Gesicht. Nachdem sie fast bei mir war, lächelte sie. Ihre gelblichen Zähne sahen aus, als könnten sie jeden Moment abbrechen, und eine Zahnlücke im Oberkiefer glotzte mich an wie eine dunkle Höhle aus der Unterwelt.
»Ich dir Zukunft sagen«, murmelte die Alte und griff nach meiner linken Hand.
Noch bevor ich mich wehren konnte, strich sie mit ihren dürren Fingern über die Handinnenfläche und flüsterte: »Schöne Zukunft, schöne Zukunft!«
Ich zog meine Hand zurück und hatte das Gefühl, dass sie soeben vom Teufel berührt worden war. Oskar bellte und knurrte die Alte böse an. Er schien zu spüren, dass ich mit der Wahrsagerin nichts zu tun haben wollte.
»Sag mir lieber die Vergangenheit«, scherzte ich mit der Frau, die jetzt ihr schwarzes Kopftuch noch tiefer in die Stirn gezogen hatte. Eigentlich war es kein richtiger Scherz, sondern ich meinte es bitterernst, aber das begriff die alte Frau natürlich nicht.
»Vergangenheit weißt du«, murmelte sie, »ich dir Zukunft sagen.«
Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich ein Unglücklicher war, der seine Vergangenheit nicht kannte.
»Schöne Zukunft! Schöne Zukunft!«, murmelte sie immer wieder. »Nur 20 Euro. Schöne Zukunft!«
Sie hatte wohl entdeckt, dass sich mit einer schönen Zukunft besser Geld verdienen ließ. Wie anders war es sonst zu erklären, dass sie von meiner schönen Zukunft sprach, bevor sie richtig in meiner Hand gelesen hatte?
»No, no«, wehrte ich ab. Ich hatte keine Lust, mir irgendeine Zukunft von ihr sagen zu lassen, die sie bestimmt doch nur erfinden würde. Aber die Alte blieb hartnäckig.
»Schöne Zukunft! Schöne Zukunft!«, wiederholte sie gebetsmühlenartig und umklammerte wieder meine linke Hand. Zum Glück kam im selben Augenblick Natalie auf mich zugestürmt.
»Gott sei Dank, dass du noch da bist!«, rief sie völlig außer Atem. »Ich hatte schon Angst, dich nicht mehr zu finden.«
Sie entschuldigte sich und erzählte mir, dass sie ein Vaporetto knapp verpasst hatte und das nächste reichlich spät erschien.
»Schöne Zukunft! Schöne Zukunft!«, murmelte die Alte nach wie vor. Inzwischen hatte sie meine Hand losgelassen, da sie wohl erkannte, dass bei mir nichts mehr zu holen war.
»Was will die Frau von dir?«
»Sie will mir die Zukunft deuten, aber ich möchte nicht.«
»Die Zukunft?«, fragte Natalie interessiert.
Sofort war die Alte bei ihr, ergriff ihre linke Hand, strich mit ihren dürren Fingern über Natalies Handinnenfläche und murmelte wieder: »Schöne Zukunft! Schöne Zukunft!«
Ich glaube, verliebte Frauen sind anfällig für Wahrsagerinnen. Jedenfalls kam mir Natalie sehr begeistert vor, vielleicht wollte sie etwas Positives über unsere gemeinsame Zukunft hören. Doch ich zog sie mit mir fort, da ich keine Lust hatte, mir die Geschichten dieser Alten anzuhören.
»Komm«, sagte ich, »Venedig hat uns sicher mehr zu bieten.«
Als wir aus dem Bahnhof traten, glaubte ich, in eine andere Welt einzutauchen. Fast erschlug mich das venezianische Leben, das augenblicklich alles um mich herum erfüllte. Der Canal Grande glänzte in der Morgensonne. Lastkähne schoben sich an Santa Lucia vorbei, schwer beladen mit Obst- und Gemüsekisten, die so hoch gestapelt waren, dass man meinen konnte, sie müssten jeden Moment kippen und in den Canal stürzen. Wassertaxis suchten sich zwischen den größeren Booten ihren Weg und überholten die Vaporetti, diese schwimmenden Omnibusse, die bei Santa Lucia an- und ablegten.
»Wir nehmen ein Wassertaxi zum Danieli. So wie wir das immer gemacht haben.«
»Zum Danieli?«, fragte ich. Ich konnte damit absolut nichts anfangen. »Wollen wir nicht erst zum Hotel?«, wandte ich ein. »Ich würde gern meine Reisetasche loswerden.«
»Das Danieli ist unser Hotel«, sagte sie stolz. »Ich habe dort bis Samstag für uns reserviert.«
»Aber das geht nicht«, wehrte ich mich.
»Warum nicht?«, fragte Natalie.
»Es geht einfach nicht. Ich habe dem Kommissar ein anderes Hotel genannt, das ähhh … ich weiß jetzt gerade nicht mehr, wie es heißt, jedenfalls ein anderes.«
»Ist das denn so wichtig?«
»Wichtig, wichtig«, brummte ich. »Was wichtig ist oder auch nicht, bestimmt der Kommissar. Ich habe schon genügend Ärger mit ihm gehabt.« Während ich das sagte, bemerkte ich, dass ich inzwischen schon die Worte von Rotfux wiederholte und ärgerte mich innerlich darüber.
»Nun komm doch erst mal mit«, versuchte Natalie mich
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