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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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zu beschwichtigen. »Ich habe meine Sachen im Danieli. Die müssen wir auf jeden Fall holen.«
    Also saßen wir wenig später in einem dieser Wassertaxis und fuhren auf dem Canal in Richtung Markusplatz.
    »Und? Erinnerst du dich?«, fragte Natalie gespannt.
    »Irgendwie schon«, antwortete ich, aber ich wusste nicht genau, was dieses ›irgendwie‹ bedeutete.
    Erst als die Rialtobrücke weiß glänzend vor uns aufstieg, wurde mir endgültig klar, dass ich bereits hier gewesen war.
    »Ja, diese Brücke kenne ich«, sagte ich und Natalies blaue Augen strahlten.
    »Du wirst dich an alles erinnern. Ganz bestimmt!«, freute sie sich.
    Ihre blonden Locken wehten im Fahrtwind des Wassertaxis. Sie sah hübsch aus in ihrem leichten, hellblauen Sommerkleid und ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte.
    Dieses Venedig faszinierte mich vom ersten Augenblick an. Der Geruch des Wassers, das lebendige Treiben auf dem Canal Grande, die stolzen Paläste, die ihn säumten, die Kirchen, deren Kuppeln in der Morgensonne glänzten, das alles hatte sich in meine Seele eingebrannt und wurde jetzt zu neuem Leben erweckt.
    »Wir sind gleich da«, riss mich Natalie aus meinen Gedanken und im selben Augenblick öffnete sich der Markusplatz vor meinen Augen. Vom Wasser aus sah ich den Campanile in den Himmel streben, die Markuskirche und den Dogenpalast und wenig später legten wir direkt beim Hotel Danieli an. Wie ein prächtiger venezianischer Palast wirkte das Hotel auf mich. Die azurblauen Markisen an den Fenstern und Balkonnischen hoben sich von dem südländischen Braunorange der Fassade ab. Die Fensternischen waren weiß abgesetzt.
    »Glaubst du, das ist wirklich das Richtige für uns?«, fragte ich Natalie unsicher, als wir die Eingangshalle betreten hatten. Man meinte, den Treppenaufgang eines prächtigen Schlosses vor sich zu haben. Rote Teppiche auf den Stufen und kostbare Teppiche in der Halle. »Das vornehmste Hotel am Platz, das kostet doch sicher ein Vermögen«, fügte ich unter dem Eindruck dieser Pracht noch hinzu.
    Allerdings schien das Natalie nicht zu kümmern.
    »Hier haben wir doch immer gewohnt«, antwortete sie nur. »Ich habe genau das Zimmer genommen, welches wir auch beim letzten Mal hatten.«
    Ich staunte nicht schlecht, als der Page die Zimmertür öffnete: Mit Stilmöbeln eingerichtet, Kronleuchter an der Decke, schwere Vorhänge bis zum Boden, ein prächtiges Doppelbett, Blick auf die Promenade und den Canal di San Marco – wie in einem Schloss wohnte man hier.
    Als ob sie Gedanken lesen konnte, sagte Natalie: »Schließlich bist du ja der König von Aschaffenburg!«
    »Ja, ja, der bin ich«, lachte ich, obwohl mir eigentlich nicht zum Lachen zumute war. »Aber ich bin ein König ohne Land. Ich kann das hier leider nicht bezahlen, Natalie.«
    Jetzt war es heraus und ich war froh, dass ich meinem Herzen Luft gemacht hatte. Aber Natalie schien das nicht zu beunruhigen.
    »Das weiß ich doch, Dieter«, sagte sie und lächelte. »Diesmal bist du von mir eingeladen. Ich habe mich seit Monaten darauf gefreut. Es soll alles sein wie immer.«
    Wenn ich nur gewusst hätte, was ›wie immer‹ war. Aber ich wusste es nicht. Auch Oskar kam mir nicht so vor, als ob er schon einmal in diesem Zimmer gewesen war. Er marschierte unruhig auf und ab, erkundete alles ganz genau und legte sich schließlich unter einen der beiden Sessel in der Sitzecke des Zimmers.
    »War der Hund beim letzten Mal auch mit?«, fragte ich Natalie.
    »Nein, den kenne ich nicht«, kam die Antwort. »Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt einen Hund hast.« Natalie sagte das eher abweisend, als ob sie von Oskars Anwesenheit nicht gerade begeistert war. Was jetzt?, fragte ich mich. Jedoch war ich zu müde, um mir eine Antwort zu geben. Die Nacht im Zug steckte mir noch in den Knochen. Ich zog die Schuhe aus und legte mich auf das breite Doppelbett. Ich sah den schweren Kronleuchter über mir, wahrscheinlich aus Muranoglas. Gedanken tanzten in meinem Kopf. Reich musste ich wohl gewesen sein, wenn ich Natalie und all die anderen Frauen in dieses Hotel eingeladen hatte. Vielleicht war ich immer noch reich? Vielleicht wusste ich es nur nicht. Vielleicht hatten sie versucht, mich im Main zu ertränken, weil ich reich war, weil ich ihnen im Weg stand, oder – was immer auch der Grund sein mochte. Und jetzt war ich arm. Natalie musste für mich bezahlen. Ein Vermögen gab sie aus, nur um mit mir wieder hier zu sein. War das nicht die schönste

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