Mainfall
Liebeserklärung, die man bekommen konnte? Trotzdem war mir nicht wohl dabei. Ich sah plötzlich Melanie wieder vor mir, sah ihr glückliches Lachen, als sie zu mir nach oben schaute, ich hörte den Schlag, der ihr das Leben raubte, sah den schrecklichen Unfall in Straßburg, bis mir das Hotelzimmer vor den Augen verschwamm, die Vorhänge zu wehenden Nebeln wurden, die mich hinwegtrugen in einen lang verdienten Schlaf.
21
Nachdem wir uns etwas ausgeruht und anschließend geduscht hatten, verließen wir das Hotel. Die Mittagshitze schlug uns entgegen, als wir von der kühlen Eingangshalle des Danieli auf die Promenade traten. Die Gondeln tänzelten auf dem Canal di San Marco und ein Gondoliere kam sofort auf uns zu. Sicher witterte er gute Geschäfte, denn wer aus diesem Hotel kam, konnte sich eine Gondelfahrt locker leisten.
»Alles Halsabschneider«, sagte ich und zog Natalie in Richtung Markusplatz. »Wir wollen erst einmal etwas essen, dann sehen wir weiter.«
Natalie war glücklich. Sie fragte mich immer wieder, ob ich mich an dieses und jenes von Venedig erinnern könne, und freute sich jedes Mal, wenn ich etwas erkannte. Der Campanile, der Dogenpalast, die Markuskirche – alles kam mir vertraut vor, ohne dass ich wirklich wusste, ob ich tatsächlich hier gewesen war oder ob sich lediglich die Bilder der Reiseführer in meiner Erinnerung widerspiegelten.
»Lass uns zu unserer Lieblingspizzeria gehen«, hatte Natalie vorgeschlagen. So führte sie mich durch die Gassen von Venedig. Zunächst vom Markusplatz durch die Merceria dell’Orologio, diese belebte Einkaufsgasse von Venedig. Ihren Hunger schien Natalie sofort vergessen zu haben. Gucci, Versace, alle großen Designer dieser Welt waren hier versammelt und Natalie begrüßte sie freudig.
»Sieh mal hier« und »schau mal dort«, ging ihr hübscher Mund und ihre schmalen Ledersandalen bekamen schon bald ein paar Freunde in einem kleinen Schuhgeschäft.
»In Italien haben sie so schöne Schuhe«, schwärmte Natalie und hätte wohl den ganzen Tag nichts gegessen, wenn ich sie nicht irgendwann an ihren Hunger erinnert hätte. Aus diesem Grund erreichten wir endlich die Rialtobrücke und ganz in der Nähe, direkt am Canal Grande gelegen, unsere Lieblingspizzeria. Romantisch war sie, wie aus dem Bilderbuch. Man saß unter einem Blätterdach an kleinen Holztischen mit rot karierten Decken und sah direkt auf den Canal.
»Du hast mir immer Schuhe geschenkt, wenn wir in Venedig waren«, sagte Natalie. »Schön, dass ich auch heute ein Paar gefunden habe.«
Sie war begeistert von ihrem Einkauf, packte unter dem Tisch die neuen Sandalen aus und zog sie nochmals an.
»Sind doch super«, freute sie sich und streckte mir ihre zarten Füße mit den neuen Sandalen entgegen. Oskar beschäftigte sich sofort mit dem Schuhkarton. Nichts tat er lieber als Schuhkartons zu zerfetzen.
»Sehr schön. Die sind natürlich ein Geschenk von mir«, sagte ich. »So wie immer.«
Dieses ›So wie immer‹ machte Natalie überglücklich.
Nach dem Essen bummelten wir an den Souvenirshops auf der Rialtobrücke entlang. Es grenzte an ein Wunder, dass diese Brücke unter der Last des versammelten Kitsches nicht zusammenbrach. Gegen Abend nahmen wir ein Vaporetto der Linie 82 zurück zum Markusplatz. Nach der Rückkehr ins Hotel ließen wir uns in die schweren, dunkelrot bezogenen Sessel fallen, die in der Eingangshalle zum Verweilen einluden. Eine Oase der Ruhe war das, verglichen mit dem geschäftigen Treiben in den Gassen und auf den Kanälen dieser Stadt. Ich war plötzlich richtig froh, in diesem Hotel zu sein. Trotzdem ging mir einen Moment lang Kommissar Rotfux durch den Kopf. Ihm hatte ich das Adriatico, ein kleines Hotel in Bahnhofsnähe, genannt und konnte nur hoffen, dass er nicht versuchte, mich dort zu erreichen.
Das Abendessen nahmen wir auf der Dachterrasse des Hotels. Es war noch warm, obwohl die Sonne schon im Dunst am Horizont stand und den Himmel rötlich färbte. Der Blick ging von der Terrasse über den Canal di San Marco. Gondeln tanzten im sanften Licht des Abends auf dem Wasser, die Linienschiffe zogen ihre Bahn, dazwischen hüpften Wassertaxis über die leichten Wellen, die der Wind im Canal aufwarf. Ewig hätte ich diesem friedlichen Schauspiel zusehen können, wäre da nicht Natalie gewesen, die meine Blicke auf sich zog. Im hauchzarten Trägerkleid saß sie mir gegenüber. Ihre leicht gebräunte Haut glänzte im Abendlicht, ihre blonden Locken fielen
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